Kultur als gesellschaftlicher Kitt
10.03.2020
Wie kann sich die Kulturpolitik gegen rechtspopulistische Angriffe verteidigen? Und welche besonderen Herausforderungen gibt es im Osten Deutschlands? Mit diesen und weiteren Fragen befasste sich das 65. Kolloquium „Kulturpolitik und Rechtspopulismus“, das vom 21.-23. Februar in Loccum stattfand.
Von: Konstantin Alexiou
„Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“ – das forderte die „Alternative für Deutschland“ im Bundestagswahlkampf 2017. Für Kunst und Kultur, die nicht explizit die herkunftsdeutsche Identität stärke, soll es nach Auffassung der Partei keine staatlichen Anreize mehr geben. Seit Jahren greift die AfD die Theater in Deutschland an: Sie stört Aufführungen, wie in der Schaubühne Berlin, stellt Strafanzeige wegen Verleumdung und Volksverhetzung, fordert Subventionskürzungen und droht, Häuser zu schließen, an denen Personen mit Migrationsgeschichte beschäftigt sind – in denen kulturelle Vielfalt selbstverständlich ist.
Es herrscht ein Kulturkampf von rechts. Viele Intendant*innen, Regisseur*innen und Kommunen fühlen sich von Rechtsextremen bedroht. Die Kulturbetriebe wehren sich, organisieren Proteste, und man spricht sich mit Aktionen wie „Die Vielen“ öffentlich für Vielfalt und Toleranz aus: „Solidarität statt Privilegien! Es geht um alle! Die Kunst bleibt frei!“, lautet ihre Selbstverpflichtung.
Aber was kann die Kulturpolitik noch gegen den Rechtspopulismus machen? Welche besonderen Herausforderungen gibt es im Osten Deutschlands? Und wie organisieren sich die Rechten? Unter der Leitung von Albert Drews kamen Politiker*innen, Institutionsleiter*innen und Wissenschaftler*innen zusammen, um diese und andere Fragen beim 65. Kulturpolitischen Kolloquium in der Evangelischen Akademie in Loccum zu diskutieren.
Dialog mit Verunsicherten und Unentschlossenen
„Demokratie, Vielfalt und Gleichwertigkeit stehen für uns nicht zur Debatte“ – das war eine wiederkehrende Antwort an diesem Wochenende. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein beschrieb die Verunsicherung in den Kommunen, Kulturbetrieben, aber auch bei NGOs und Wohlfahrtsverbänden. Oft wüssten die Entscheidungsträger*innen nicht, welche Handlungsoptionen sie haben und wie sie sich zum Neutralitätsgebot verhalten sollen. „Rechtsextreme und rassistische Einstellungen müssen aber kritisch angesprochen und abgelehnt werden“, so Küpper. In ihrer Analyse umriss sie das ideologische Weltbild der Rechten und deren Rhetorik, die Menschengruppen als Feindbilder markiert. Der Dialog mit Verunsicherten und Unentschlossenen sollte stattfinden, um die eigene Position überzeugend darzulegen. Ängste der Bürger*innen dürfen aber nicht als Fakten widergespiegelt und Vorurteile nicht reproduziert werden. Ein lösungsorientiertes Handeln sei anzustreben.
Die Mobilisierung der „Neuen Rechten“ findet insbesondere im Internet statt. Die Politikwissenschaftlerin Carina Book gab einen Überblick – auch über internationale Vernetzungen – und erklärte die Wechselwirkung mit der AfD im Bundestag und Bewegungen wie Pegida und organisierten Anti-Migrant*innen-Gruppen. Das Entwerten der klassischen Medien hat zu einer kollektiven rechtsradikalen Identität durch eigene Publikationen geführt. Mit Neologismen distanzieren sich Rechte und die Identitäre Bewegung bewusst von der NS-Zeit und vereinnahmen Strategien linker Gruppen. Ihr Konsens sei nicht, einen Gegendiskurs zu etablieren, sondern das Ende des Diskurses zu propagieren. Zudem sollen Teile der „Neuen Rechte“ stark bewaffnet sein.
Zum Umgang mit rechten Verlagen sprach sich Lisa Mangold dafür aus, die Herstellung von Büchern als politisch zu begreifen und nicht zu relativieren, aber auch im vorpolitischen Raum deutlich solidarische Haltung zu zeigen – demokratisch agieren in der Demokratie! Mangold engagiert sich beim Bündnis „Verlage gegen rechts“. „Analysen von antirassistischer Seite werden in der Gesellschaft nicht ernst genommen und finden keine Anwendung“, sagt sie. Zudem sollten populäre Sachbuch- und auch Belletristik-Verlage diese Themen nicht vernachlässigen. Rechte Ideologien will Mangold nicht befeuern; der Dialog sei mit vielen Rechtsextremen nicht möglich. Dass sich die Kultur und ihre Akteur*innen mit den Strategien der Rechten intensiv befassen sollten, darin waren sich Referierende und Teilnehmer*innen einig.
Trainings für den Gebrauch von Social Media, die manche Institutionen anbieten, können helfen, die Aufmerksamkeitsökonomie der Rechten zu unterwandern. Eine inklusive Bildungsarbeit und diverse Theaterensembles und Ausstellungsprogramme, wie es sie gibt, seien wichtig, um die Vielfalt der Gesellschaft widerzuspiegeln. In schlecht versorgten Stadtteilen sollen Bürger*innenprojekte und Kulturangebote kulturelle und politische Bildung fördern. Die Digitalisierung an den Schulen komme nur langsam voran, nur sie ermögliche aber die digitale kulturelle Teilhabe für alle.
Ostdeutschland: Programme zu Diversität polarisieren
Was schon in den westlichen Bundesländern als besorgniserregend diskutiert wird, findet man verschärft in Ostdeutschland vor. Die Zahl der Rechtsextremen und AfD-Wähler*innen ist dort um ein Vielfaches größer, Programme zu Diversität polarisieren noch mehr und sind schwer zu vermitteln. Einen Einblick in ostdeutsche Lebensrealitäten gab der Bürgermeister von Augustusburg bei Chemnitz, Dirk Neubauer. In seiner Gemeinde spielen wirtschaftliche Sorgen keine große Rolle. Der Identitätsverlust nach der Wende, ortsstruktureller Abbau und eine asymmetrische Kommunikation zwischen West und Ost seien hingegen Gründe, warum viele rechts wählen, sagte Neubauer. Und: „Die DDR-Diktatur hat Angst und Misstrauen geschaffen, die an die Nachfahren weitergegeben werden“, ergänzte Reinhard Bärenz vom MDR. Richtig ist, dass Osteuropa ganz junge und fragile Demokratien hat – und das wird angesichts der gesamten politischen Verschiebung öffentlich zu wenig diskutiert. Dirk Neubauer sucht den direkten Weg zu seinen Bürger*innen, um sie für Stadtpolitik zu interessieren, und bringt sie mit Migrant*innen zusammen.
Bei den Diskussionsrunden in Loccum verwies Anne Pallas, die Geschäftsführerin der Soziokultur in Dresden, auf Ähnlichkeiten bei manchen Erfahrungen von Ostdeutschen und Muslim*innen in Deutschland und plädierte für einen inklusiven Diskurs auf Grundlage der Studie „Ost-Migrantische Analogien I. Konkurrenz um Anerkennung“.
Abwertungserfahrungen als Ursprung von Rechtsextremismus wurden des Weiteren aus philosophischer Sicht als gesamtgesellschaftliches Problem beleuchtet: In einer digital erfahrbaren unübersichtlichen Welt werde die Selbstwirksamkeit als begrenzt erlebt und das kann zu individuellen oder eben zu nationalistischen Identitätsabsicherungen führen. Die transgenerationelle Weitergabe der autoritären Erziehung aus der NS-Zeit wirke zudem vielleicht bis heute und zeige sich in der Verehrung autokratischer Regierungssysteme.
Keine Referent*innen mit Zugang zu Rassismus und Antisemitismus
Kommunalpolitik und Kulturbetriebe sollten deshalb insgesamt Agierende, nicht Reagierende sein, so der Konsens in Loccum. „Kultur als Kitt und Korrektur“, das wiederholten die Referierenden. Ein Versäumnis war jedoch, dass keine migrantischen und jüdischen Referent*innen zum Kolloquium eingeladen waren. Die Kulturbetriebe in Deutschland bemühen sich zwar, mit einem diversen Programm die plurale Gesellschaft abzubilden und zu verteidigen – zumal sie damit ihre Sprecherposition zeitgemäß, publikumswirksam aufladen. Aber die homogenen institutionellen Machtstrukturen ändern sich dabei kaum. So bleiben viele blinde Flecken.
Denn ohne die biografische Verknüpfung fehlt das echte Wissen zu Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft, das für eine wehrhafte Demokratie notwendig – wenn sie nicht sogar von ihm abhängig ist. Ohne diesen Zugang verharrt man beinahe in einer ethisch-moralischen Empörung über die politische Entwicklung, erlebt aber nicht die existenzielle Dringlichkeit, um tiefgreifende Maßnahmen durchzusetzen.
Wie schaffen wir eine institutionelle Durchlässigkeit für die durch Rechtsextreme wirklich lebensbedrohten Personengruppen? Sollte sich die Vielfalt in der Gesellschaft nicht nur im Programm, sondern auch in unseren Strukturen widerspiegeln, wenn man sich gegen rechts aufstellt? Diese Analyse aus migrantischer oder jüdischer Perspektive fehlte in Loccum. Sie würde unter anderem beinhalten zu überprüfen, welche Personen aus der deutschen Gesellschaft welche Sprecherposition und Entscheidungsmacht von vornherein innehaben – und inwieweit eine Erwartung von kultureller, habitueller und diskursiver Assimilation das Aufbrechen der homogenen Strukturen in den Institutionen verhindert.