Frau* sein in Zeiten von Corona
07.05.2020
Im Rahmen der Reihe „Der Shutdown aus feministischer Sicht“ werfen die Berliner Frauenkreise einen Blick auf die Situation von Frauen* in der Corona-Pandemie. In Texten, Videos und Bildern findet so eine künstlerische Auseinandersetzung statt, die zum Mitmachen einlädt.
Von: Alice Lanzke
Die Veranstaltung beginnt mit einem Knacken: Es ist 19 Uhr an diesem Donnerstagabend und der Berliner Verein „Frauenkreise“ hat zu einer Lesung der besonderen Art eingeladen. „Der Shutdown aus feministischer Sicht. Frauen*realitäten in Zeiten von Corona“ lautet der Titel der Reihe, in deren Rahmen dazu aufgerufen wird, Texte, Bilder oder Videos einzureichen, welche die spezifischen Erfahrungen von Frauen* in der Corona-Pandemie thematisieren.
Intimität und Distanz
Tatsächlich haben sich für die erste Lesung am 30. April dreizehn Frauen* zusammengefunden: manche, um selbst vorzulesen, andere, um einfach zuzuhören. Das Spektrum der Textarten ist breit. Es reicht vom zarten Haiku, der kurzen, traditionellen japanischen Gedichtform, über Kolumnen, die zornig-humoristisch die ganz persönlichen Auswirkungen der Einschränkungen aufarbeiten, bis hin zu emotionalen szenischen Reflexionen über die Liebe.
Das Format der Online-Lesung entfaltet dabei einen eigentümlich widersprüchlichen Effekt: Auf der einen Seite sieht man die Lesenden in ihren eigenen vier Wänden, auf dem heimischen Sofa oder in der privaten Küche, was einen Eindruck direkter Intimität vermittelt. Auf der anderen Seite schafft das Medium Distanz. Der Monitor flackert, manchmal stockt das Bild oder es sind Störgeräusche wie eben das Knacken zu hören. „Man kann die anderen nicht sehen, sitzt vor dem eigenen Laptop und fühlt sich abgespalten, aber auf der anderen Seite erzeugen die Texte ein Gefühl der Verbundenheit“, fasst es eine Teilnehmerin zusammen.
Nicht zurück ins Hamsterrad
Doch es ist gerade diese Ambivalenz, die eine eigene kreative Ebene aufbaut. „Unser Kunstbegriff ist sehr weit gefasst“, erklärt Organisatorin Niki Drakos vor der Veranstaltung. „Wir sind keine Galerie, kein Verlag oder Filmvertrieb, sondern ein feministisches Projekt. Alles, was eine feministische Aussage trifft, ist für uns wertvoll.“ Indes scheint gerade die Lesung wie ein künstlerisches Sinnbild der aktuellen Situation: Die Pandemie zwingt in die Isolation, in der neue kreative Ausdrucksformen gesucht und digital geteilt werden.
Dabei geben die Frauen* an jenem Abend vielfältige Einblicke in das, was sie derzeit bewegt. „Mich beschäftigt der Rassismus in der Corona-Zeit gerade sehr, aber ich habe mich nun so viel damit beschäftigt, dass ich über etwas anderes sprechen will“, leitet etwa eine Teilnehmerin ihren Beitrag ein – um dann über den Konkurrenzkampf unter Künstler*innen zu lesen, „von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn fühle“. Der Shutdown habe diesen Konkurrenzkampf angehalten: „Ich will nicht mehr leben wie zuvor, zurück ins Hamsterrad.“ Sie wolle aussteigen, ohne auszusteigen: „Wie macht man das? Tipps sind willkommen.“
„Lockdown can break you or make you stronger.“
Es sind Texte wie diese, die deutlich machen, dass die Corona-Krise für manche Raum schafft, die bisherigen Zwänge des Alltags zu überdenken. Andere lernen ihr direktes Umfeld plötzlich auf ganz neue Art kennen, so etwa Nontsikelelo Mdlankomo. Ihr Beitrag wird von Niki Drakos verlesen, darin berichtet die Südafrikanerin, wie sich ihr Leben als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in Soweto derzeit gestaltet. Auch in Südafrika seien die Schulen geschlossen, das Internet aber so schlecht, dass die Arbeit im Homeoffice erst ab Mitternacht möglich sei. „Ich lerne Neues über meine Kinder und andere mir Nahestehende“, stellt Mdlankomo fest und schließt: „Lockdown can break you or make you stronger.“
Eine andere Teilnehmerin beschreibt auf eindrückliche Weise, dass ihr die Corona-Beschränkungen viel nehmen würden: „Ich habe Probleme mit dem Immer-zu-Hause-bleiben.“ Gerade, wenn man nicht monogam oder in einer Lebenspartnerschaft lebe, stelle die aktuelle Situation eine Herausforderung dar. Niki Drakos selbst erzählt, dass es bei den Frauenkreisen einen Corona-Fall gegeben habe, der zur Quarantäne für das Team führte. Die Zeit zu Hause habe sie genutzt, um nach innen zu reisen, anstatt wie sonst ins Ausland zu fahren. „I’m the queen of quarantine“ heißt das Resultat dieser inneren Reise, in der Drakos über ihren Feminismus reflektiert.
Das Ziel: Sichere Räume schaffen
Je länger der Abend andauert, umso dichter scheinen die Teilnehmer*innen zu rücken. Das wird etwa deutlich bei der szenischen Lesung unter dem Titel „Unliebesbrief“, bei der die Vortragende ihren Text über eine aufwühlende Beziehung mit Gesten und Geräuschen untermalt. Für den folgenden Applaus schaltet Drakos die Mikrofone aller Zuhörer*innen auf, die Kameraaufnahmen zeigen sichtlich bewegte Gesichter. Die Online-Lesung ist für manche eine Hilfe, sehr persönliche Inhalte zu teilen. „Ich habe so viele Emotionen in mir, die ich sonst nicht in Texten öffentlich teile, aber in diesem Format fühle ich mich safe, vielleicht auch, weil es digital ist“, sagt etwa eine Teilnehmerin.
Die Schaffung eines solchen sicheren Raumes ist auch fernab der Corona-Zeit ein Hauptziel der Frauenkreise, deren Arbeit durch die Pandemie allerdings neue Wege gehen musste: „Unser Kerngeschäft ist intersektionale, rassismuskritische, feministische, bildungspolitische Arbeit, die wir auch über Diskussionen, Panels oder Lesungen vermitteln – immer mit dem Anspruch zu sensibilisieren und zu empowern“, fasst Drakos zusammen. Der Shutdown bedeute nun zwar, dass derartige Veranstaltung erstmal nicht mehr stattfinden könnten. „Gleichzeitig können uns nun aber Interessent*innen außerhalb Berlins erreichen.“
Bestehende Ungleichheiten werden sichtbar
Die Reihe „Der Shutdown aus feministischer Sicht“ solle ein Schlaglicht auf die Frage werfen, was die Situation speziell mit Frauen* mache: „Welche Erkenntnisprozesse kommen in Gang? Was wird gerade sichtbar?“ zählt Drakos auf. In Texten, Bildern und Videos könnten Frauen* ihre Antworten verarbeiten und gleichzeitig nachhaltig dokumentieren. „Wir dachten, dass es Spaß macht, das in einen künstlerischen Ausdruck zu bringen und greifbar zu machen – anders als etwa in einem bloßen Gespräch“, so Drakos.
Für sie bedeutet der Shutdown eine Zuspitzung der Ungleichverteilung für Frauen*. „Unsere Gesellschaft ist überhaupt nicht darauf vorbereitet: Bereits bestehende Mängel werden gerade sichtbar, zum Beispiel in der Situation von Frauen*, die häusliche Gewalt erleben“, führt Drakos aus. Ebenfalls prekär sei die Situation von alleinerziehenden Müttern oder von solchen, die nicht gut Deutsch sprächen oder keinen entsprechenden Bildungshintergrund hätten. Auf einer ganz anderen Ebene würden die Corona-Einschränkungen mit den zeitweisen Schließungen von Friseur*innen oder Kosmetiker*innen dazu führen, dass sich manche Frauen neue Fragen zu ihrem Körper und ihrem Selbstbild stellten: „Woran hängt mein Frau-Sein? Was gehört für mich dazu und was ist wichtig, damit ich mich als Frau fühle?“
Über Form und Inhalt entscheiden die Teilnehmenden
Für dieses breite Spektrum an Fragen, aber auch an Ungerechtigkeiten, die derzeit sichtbar werden, soll die Veranstaltungsreihe der Frauenkreise ein Forum bieten – auch, wenn bei der ersten Online-Lesung andere Themen im Vordergrund stehen. Doch auch das ist Teil des Konzepts: Die Teilnehmer*innen sind nicht nur in der Form, sondern auch im Inhalt ihrer Beiträge komplett frei. Und dieses Konzept geht auf. Zum Abschluss der Lesung drücken alle Zuhörenden Dankbarkeit für den Abend aus. „Ich fühle mich allen hier sehr verbunden“, bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt. Ganz am Ende wird es noch einmal emotional, als spontan und durchaus kontrovers über die geltenden Schutzmaßnahmen diskutiert wird. Aber auch dafür lässt die Veranstaltung respektvollen Raum, was von den digital Anwesenden honoriert wird. So schließt eine Teilnehmerin: „Ich bin für das schöpferische Potenzial und die vielen verschiedenen Perspektiven, die ich gehört habe, dankbar.“
Weitere Infos:
Die nächste Lesung findet voraussichtlich am 20. Mai um 19 Uhr statt, geplant sind im Rahmen von „Der Shutdown aus feministischer Sicht“ zudem ein Online-Screening und eine Ausstellung. Wer Beiträge einreichen oder teilnehmen will, findet mehr Informationen auf der Facebook-Seite unter dem Hashtag #feminismwhileshutdown sowie auf der Website: www.frauenkreise-berlin.de.