Empowerment körperlich erfahren
28.05.2020
Fitnessklassen und feministisches Empowerment? Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch klingt, bringt Anisha Müller in ihren „FemmeFitness“-Klassen zusammen – seit Beginn der Corona-Pandemie auch digital.
Von: Alice Lanzke
Ein Donnerstagabend im Mai: In der virtuellen Zoom-Konferenz sind bereits die ersten Teilnehmer*innen zu sehen. Manche haben es sich vor dem Bildschirm bequem gemacht, während andere ihr Wohn-, Arbeits- oder Schlafzimmer frei räumen. Im Hintergrund laufen pulsierende Rhythmen; die Stimmung erinnert ein wenig an einen Clubbesuch, bei dem man noch vor dem Einlass wartet, während die Musik von drinnen schon nach draußen wabert. Dann setzt sich Anisha Müller vor ihre Kamera und steigt direkt ein: „FemmeFitness habe ich vor ein paar Jahren gestartet, um Fitness mit sexuellem Empowerment und feministischen Diskussionen zu kombinieren.“ Tatsächlich findet sich auf der Facebook-Seite die augenzwinkernde Unterzeile „Feminism and Fitness: Where ass-shaking meets activism“.
Dass die Kombination zum einen funktioniert und zum anderen durchaus ernst zu nehmen ist, wird gleich zu Beginn der Online-Klasse deutlich: Anisha startet mit einem Input über Sexismus und Misogynie in verschiedenen musikalischen Genres sowie über unzutreffende Generalisierungen, die zu manchen dieser Genres existieren. „Im Pop gibt es die Tendenz, Frauen zu infantilisieren, indem sie zum Beispiel oft als ‚Girls‘ bezeichnet werden, während Frauen über 40 kaum vorkommen“, beschreibt sie.
Im Heavy Metal gebe es extrem grafische Gewalt gegen Frauen, während Rock Bands aus weißen Cis-Männern dominierten. „Doch auch als Fans werden Frauen patronisiert“, führt Anisha aus. „Wenn Gruppen wie etwa Boybands viele weibliche Fans haben, dann sinkt ihr Ansehen.“ Diese Beobachtungen stammen aus „Under My Thumb: Songs that Hate Women and the Women Who Love Them“. Ein Lesetipp, den Anisha den Teilnehmer*innen zum Abschluss ihrer Ausführungen gibt, die parallel im Chat bereits weitere Beispiele dazu gesammelt haben.
Femme als Erlebnis
Musik ist für Anisha ein zentrales Element von „FemmeFitness“ und war mitentscheidend für die Idee, die Klasse ins Leben zu rufen. „Ich habe als Zumba-Trainerin in Fitnessstudios gearbeitet, um Geld zu verdienen, es aber auch wirklich genossen“, erinnert sie sich im Interview. Je mehr sie sich aber mit Politik beschäftigt habe, umso mehr konnte sie ihre Ideen von Feminismus nicht mehr mit der Kultur in den Studios in Einklang bringen: „Denn dort ging es doch viel um Gewichtsverlust, Fat-Shaming und Vorher-Nachher-Vergleiche.“
Im Zumba würden zudem viele verschiedene Musik- und Tanzstile eingesetzt – ohne ein Bewusstsein über deren Ursprünge. „Ich wollte die Teilnehmer*innen darüber aufklären und auch über die kulturelle Ausbeutung, die damit verbunden ist“, so Anisha. Sie fing an, entsprechende Erläuterungen in ihre Klassen einzubauen. „Das kam zwar gut an, aber mein Publikum waren vor allem weiße Cis-Frauen, oft aus der Mittelklasse.“ Gleichzeitig wollte sie die schlechten Arbeitsbedingungen als Fitness-Trainerin nicht weitertragen. „Die Kombination daraus führte schließlich zur Entwicklung von FemmeFitness.“
Im Februar 2018 gründete sie eine entsprechende Online-Gruppe, in der zunächst vor allem ihre Gedanken über die verwendete Musik im Vordergrund standen: zu Reggaeton und dessen Subgenre Neo-Perreo, ebenso wie Desi-Hip-Hop aus der indischen Diaspora und Soca aus Trinidad und Tobago. „Während Pop als globales Phänomen gilt, werden Dancehall oder Reggaeton spezifisch verortet“, beschreibt sie – Beobachtungen, die sie auch mit den Teilnehmer*innen der FemmeFitness-Klassen teilt.
Doch Anisha wollte nicht nur über Musik aufklären, sondern auch einen Raum schaffen, in dem Menschen die positiven Aspekte von Fitness, Tanz und Bewegung erfahren könnten, „das Gemeinschaftsgefühl, die Endorphine und das Schwitzen“, ohne die Zwänge der Fitnessstudio-Kultur. Die „Femme“-Bezeichnung versteht sie dabei als inklusives Dach, das mehr Menschen umfasst als der Begriff „Frauen“. „Ich selbst identifiziere mich als Femme, für mich bedeutet der Begriff mittlerweile mehr ein Erlebnis: ein Feiern von Feminismus und Femininity während des Kurses“, beschreibt sie. Zudem stamme die meiste Musik, die sie verwende, von femme und queeren Künstler*innen.
Der Wert des Körpers
Als Widerspruch zu feministischen Idealen sieht sie ihre provokante Aufforderung zum Hinternwackeln nicht. „Der Mainstream-Feminismus, der eigentlich ein weißer Feminismus ist, behauptet, dass körperliche Aktivität Intellektualität entgegensteht“, kritisiert sie. Darin stecke eine zutiefst westliche Überzeugung der Überlegenheit von Intellekt, Gehirn und Wissenschaft gegenüber Körper, Sinnlichkeit, Gefühlen und Berührungen. Letztere seien historisch gegendert und rassifiziert. „Und manchmal ist es einfacher, sich an stereotypische Machtpositionen anzupassen, in dem Fall an den rationalen, weißen Mann“, betont Anisha. Sie wolle indes den Wert des Körpers unterstreichen, ebenso wie den von Spiritualität und nicht-weißen Feminismus: „Es ist wichtig, sich mit sich selbst zu beschäftigen, um zufrieden zu sein, und dazu gehört der eigene Körper.“ So lerne sie manchmal mehr in ihren eigenen Kursen als in einem Seminar.
Grundsätzlich stelle Feminismus für sie eine Qualität dar, die allerdings eben auch von Privilegien geprägt sei: „Black Lives matter, Trans-Feminismus, People of Color – all das gehört für mich aber unbedingt zu Feminismus dazu.“ In einem utopischen Sinne verstehe sie unter Feminismus Gleichberechtigung für alle, von der alle profitieren würden. In der Realität sei Feminismus aber derzeit vor allem ein Trend-Begriff und das auch in der Fitness-Industrie.
„Vor zehn Jahren war hier das Narrativ vom Gewichtsverlust dominierend, aber heute hat sich der Kapitalismus soziale Gerechtigkeit als Thema einverleibt.“ Anisha spricht damit auch entsprechende Kampagnen großer Fitness-Unternehmen oder Fitness-Influencer*innen an, die sich das Empowerment von Frauen auf die Fahnen schreiben und doch nur wieder neue unerreichbare Ideale kreieren.
Im Gegensatz dazu fühlt sich die digitale FemmeFitness-Klasse wie eine körperliche Erfahrung von Empowerment an – zum einen dadurch, dass Anisha viele der genutzten Songs und entsprechenden Künstler*innen einordnet, zum anderen, weil die von ihr gezeigten Choreografien keine Barrieren entstehen lassen. Ein sanftes Rollen der Hüften geht unmerklich in eine Kniebeuge über, alle Teilnehmer*innen haben selbst in der Hand, wie sportlich, lasziv oder enthusiastisch sie ihre Bewegungen gestalten. Manche haben ihre Kameras ausgeschaltet, andere erlauben den Blick auf sich – in beiden Fällen schafft das gleichzeitige Tanzen ein eigentümliches Gefühl von Gemeinschaft, in der nicht bewertet wird.
Und auch das ist Anisha wichtig, sei es nun in ihrer virtuellen Klasse oder bei den „echten“ Treffen, wie sie vor der Corona-Epidemie wöchentlich stattfanden: „FemmeFitness bietet einen safer space.“ Anisha benutzt diese Wendung anstatt des sonst üblichen „Safe Space“, um auszudrücken, dass kein*e Gastgeber*in wirklich garantieren kann, dass ein Raum zu hundert Prozent sicher sei. „Und trotzdem geht es um einen Ort, an dem sich marginalisierte Gruppen körperlich und emotional geschützt fühlen.“
Digitales Empowerment
Die Verlagerung der Klassen ins Digitale bedeutet für Anisha Chance und Herausforderung zugleich: „Ich mache mir viele Gedanken darum, wie ich dafür sorgen kann, dass sich alle in der aktuellen Situation wohl fühlen, die für nicht wenige prekär ist.“ „FemmeFitness OnLiNe“ als virtueller Safer Space stelle so für viele eine kleine Flucht dar, die empowernd wirke. Dennoch gingen die Verbindungen, die bei den Klassen vor Ort entstünden, zum Teil verloren. „Das, was ich eigentlich an meinen Klassen liebe, dass die Menschen bleiben, tanzen, Freundschaften schließen – das kann gerade nicht stattfinden.“ Zudem bedeute eine Online-Klasse per Zoom oder Skype, dass es viel mehr auf ihre Person ankomme und weniger auf das geteilte Erlebnis.
Doch es gebe auch positive Seiten: Die Klassen seien nun zugänglicher für mehr Menschen, für solche, die nicht in Berlin lebten, aber auch für diejenigen, die auf Barrierefreiheit angewiesen seien. So denkt Anisha bereits darüber nach, das Online-Angebot auch nach der Corona-Zeit fortzuführen und das digitale Empowerment weiterzuentwickeln: „Es ist nicht besser oder schlechter, sondern einfach eine weitere Option.“
Info:
Mehr Informationen zu FemmeFitness finden sich auf der Facebook-Seite . Eine Übersicht zu den kommenden Online-Klassen gibt es unter folgendem Link.