Die Perspektive erweitern
15.04.2016
Wie schafft man eine Gemeinschaft? Diese Frage bearbeitet die Künstlerin Barbara Caveng seit Februar 2015 mit den Bewohnern einer Spandauer Flüchtlingsunterkunft. Mit ihrem Projekt „Kunstasyl“ möchte sie den Blick auf die Geflüchteten verändern.
Von: Katrin Bettina Müller
Der Weg von „Rathaus Spandau“, Endstation der U7, weiter zur Unterkunft für Asylbewerber an der Staakener Straße hat schon manchem Bewohner das Herz schwer werden lassen. Abgelegen der Ort, hässlich die Fassade des ehemaligen Gesundheitsamtes, wenig einladend. Seit Ende Februar steht ein Bauwagen davor, „Kunstasyl“ steht auf dem Dach. Hier übernachtet manchmal Barbara Caveng und putzt sich dann morgens mit Frauen aus dem Heim im Waschraum die Zähne. Solche Alltäglichkeiten zu teilen, das ist ein Ansatz ihrer Arbeit.
Barbara Caveng ist Künstlerin. Die Deutsch-Schweizerin mit dem leuchtend roten Haar lebt schon lange in Berlin. Im Bauwagen grinst eine große Hello-Kitty-Katze auf ihrem Bett, Erinnerung an ein Paar, das nach zweieinhalb Jahren Warten in dem Heim in Spandau abgeschoben wurde. Ein gelbes T-Shirt hängt an der Wand, gestiftet von einem 12-jährigen Jungen aus Damaskus, der mit seiner Familie in Spandau inzwischen eine Wohnung gefunden hat.
In einer Vitrine erinnert ein Paar Turnschuhe an Latif Haziri, einen 15-Jährigen, der über ein halbes Jahr lang viele Fotos für Kunstasyl machte: es sind die Schuhe, die er bei seiner Flucht aus dem Kosovo getragen hat. Er ließ sie da für das kleine Museum, als er Anfang Oktober mit seinen Eltern dorthin zurückgeschickt wurde. Im Bauwagen sind kleine Spuren von diesen ehemaligen Bewohnern aufgehoben.
Aus einer Brache wird ein Raum für Gemeinschaft
Die Freifläche vor dem Heim für etwa 100 Bewohner war eine kahle Brache bis zu diesem Frühjahr. Bänke, Tische und Liegen zu bauen, eine Sandgrube zum Buddeln und Blumenbeete anzulegen, das gehörte zu den ersten Aktionen, die Barbara Caveng mit einem Team, zu dem auch Aymen Montasser, ein Architekt aus Tunesien, gehört, angegangen ist. Im Haus gibt es nur einen kleinen Gemeinschaftsraum; wenigstens in den wärmeren Monaten kann man jetzt draußen zusammenkommen.
Mitgebaut an den Gartenmöbeln hat Serdar Ali, ein Familienvater aus Syrien, der alleine nach Deutschland gekommen ist. Wie er seine Familie nachholen kann, das ist seine Hauptsorge. Bevor Barbara mit ihrem Kunstprojekt in das Heim kam, erzählt er – Dachil Sado, übersetzt für ihn aus dem Arabischen ins Englische – habe er nicht mal einkaufen gehen können. Dazu habe ihm einfach der Antrieb gefehlt.
Jetzt, Anfang November, zeigt er ihr den neuen Akkuschrauber, den er für die Arbeit gekauft hat. Endlich was Sinnvolles tun zu können, das ist für ihn Kunstasyl. Und über gemeinsame Projekte hat er auch viel mehr von den andern untergebrachten Frauen, Kindern und Männern kennengelernt. Serdar war enttäuscht, nach seiner Ankunft in Berlin immer gleich als „Flüchtling“ eingeordnet und nicht als Mensch und Individuum wahrgenommen zu werden.
Den Blick auf Geflüchtete verändern
Eine Erfahrung, die viele mit ihm teilen. Den Blick auf die Geflüchteten zu verändern, das ist ein Ansatzpunkt für Aktionen von Kunstasyl im öffentlichen Raum. Im Juni 2015 nahmen sie mit „Fernreisen Neukölln“ an 48 Stunden Neukölln teil. Wer ihre Bustour buchte, hatte einen der Heimbewohner als Sitznachbar, der von sich und den Städten, nach denen die Haltestellen benannt waren, erzählen konnte und wollte.
Die Idee dazu war im Gespräch mit Malwud Hassan entstanden, einem ehemaligen Zollbeamten unter Assad und leidenschaftlichen Busfahrer. Er hatte ein Video von seinen Fahrten, die Straße entrollt sich vor der Kamera. Wieder Bus zu fahren, ist sein bescheidener Traum, den er bisher nicht verwirklichen kann. Im Tourbus saß er neben dem Busfahrer.
Wie baut man eine Gemeinschaft? Wie schafft man eine Plattform für Austausch? Das sind die Fragen, die Barbara Caveng schon seit mehreren Jahren in partizipatorischen Projekten bearbeitet. Auf ihre Initiative hin entstand Kunstasyl. Sie war 2011 in Syrien gewesen, als dort die Kämpfe begannen. Seitdem suchte sie nach Möglichkeiten, mit den Mitteln ihrer Kunst Verbindung zu dem zu halten, was dort passiert. „Kunst hat keine Aufgabe, aber ihre Freiheit ist, sich eine zu suchen“, sagt sie. Und definiert als eine Aufgabe von Kunstasyl, den Heimbewohnern Sichtbarkeit zu verleihen.
Kunstasyl soll Sichtbarkeit verschaffen
Ein Instrument dafür ist eine Website, www.kunstasyl.net. Man kann dort in vielen Fotografien verfolgen, wie die Hofmöbel entstanden, sieht Kinder auf dem Platz spielen. Man kann die Nummern einzelner Zimmer anklicken und Bewohner stellen sich vor. Aber auch Geschichten von Zurückgewiesenen, die hier wohnten, werden erzählt und von Familien, die außerhalb eine Wohnung fanden. Mit ihren vielen Fotos gleicht die Website einem Familienalbum.
Auch im Eingang des Hauses hängen viele ausgedruckte Bilder; in der Werkstatt sind kleine Mädchen damit beschäftigt, Fotos von sich in schön gezeichneten Ornamenten zu rahmen. Das ist immer auch Selbstbehauptung, ein Spiel, eine Kommunikation. Nicht zuletzt ist es Bildpolitik, eine Verteidigung gegen die Bildstereotype von der Flüchtlingsmasse. Nachbarn aus Spandau, die im Sommer zu einem Fest kamen, kannten einige Bewohner schon beim Namen durch die Website.
Dachil Sado, der Übersetzer vom anderen Tag, hat inzwischen eine Wohnung in Neukölln. Er gehört jetzt zum Team von Kunstasyl. Auf seine Jeans hat er einen riesigen Fingerabdruck gedruckt. Im Logo von Kunstasyl trägt eine Figur diesen Fingerabdruck schwer wie einen Felsen auf dem Rücken, Symbol für die Belastung, als „Flüchtling“ identifiziert und kategorisiert zu sein. Dachil erzählt von der tiefen Depression, die ihn nach seiner Ankunft in Berlin niederdrückte. Er gehört zu einer jesidischen Familie, die mit Elektronik handelte, in Shingal im Irak.
Raus aus der Isolation
Viele aus seiner Verwandtschaft wurden vom IS ermordet. Er wollte Ingenieur werden, gab Computerkurse für Kinder, übersetzte für Amerikaner vor Ort. Anfangs hasste er Berlin, niemand nahm ihn hier wahr. Seine Zimmergenossen hatten ihn schon für verrückt gehalten, weil er das Zimmer nicht verließ. Er fürchtete sich vor ihnen, jungen Männern aus Pakistan, weil sie Muslime waren. Verengte Blicke, verkürzte Zuschreibungen von allen Seiten. Das Kunstprojekt hat ihm da rausgeholfen. „Art saved my life“, sagt er sogar. Wenn er jetzt durch die Flure des Heims geht, kennt er eigentlich alle und vor allem umwerben ihn die Kinder.
In der Küche im Wohnheim auf der zweiten Etage stehen zwar sechs Herde nebeneinander, die Arbeitsflächen aber sind klein. Lebensmittel muss jede Familie in ihrem kleinen Zimmer aufbewahren. Trotzdem riecht es überall nach Kuchen, jemand hat viele Bleche gebacken und im Treppenhaus hingestellt. Einen Speisesaal gibt es nicht. Und es riecht nach frisch gewaschenen Haaren. „Schönheit ist wichtig“, sagt Barbara Caveng und denkt an ein fotografisches Projekt, an dem sie gerade mit einer jungen Frau arbeitet.
Sieht sie nicht ein wenig aus wie Marilyn Monroe? Eine andere Bewohnerin erinnert an Mona Lisa. Die Porträts, für die Caveng mit ihren Modellen nach Kostümen und nach der richtigen Rolle sucht, sollen etwas Glamouröses enthalten, weit weg von den gängigen Assoziationen, die mit Flucht und Asyl zusammenhängen. Wieder geht es darum, die Perspektive der Wahrnehmung zu verändern.
Finanzierung des Projekts ist unklar
Barbara Caveng hat unter den Heimbewohnern viele Talente kennengelernt. Ein Clown aus dem Libanon war dabei und Zineta Jusic aus Bosnien, die Gobelinstickerei beherrscht. Sie hat den Schriftzug „Kunstasyl“ auf die Rückenlehnen zweier Stühle gestickt und nimmt ihre Materialien inzwischen überall hin mit, wo sie warten muss, wie zum Sozialamt.
Das gibt Anlass zu Gesprächen. Womöglich hat die Teilnahme an Kunstasyl dazu beigetragen, dass einige Heimbewohner wieder zu mehr Selbstvertrauen gefunden haben. Die Förderung durch die Kulturverwaltung Berlins und den Fonds Soziokultur sicherten die Finanzierung von Februar bis Ende Juli 2015. Seitdem ist die finanzielle Situation sehr eng, das Projekt bewirbt sich um weitere Mittel.
Für Barbara Caveng, die zwei- bis dreimal die Woche vor Ort ist, ist es zu einem Teil ihres Lebens geworden. Weil sie so viel Zeit hier verbringt, sei sie auch schon von Heimbewohnern erstaunt gefragt worden: „Hast du keinen Mann?“ Sie lacht. Viel privates Leben außerhalb hat sie tatsächlich nicht mehr. Das Projekt kann sie jetzt nicht loslassen.
Der Artikel erschien zuerst in taz, die tageszeitung vom 22. Dezember 2015.