Rhythm and religion?

18.04.2016

Mann tanzt bei einer Aufführung auf Bühne
„Basmala“ | Foto: Frank Dieper

Im Theaterstück „Basmala – Freund oder Feind“ untersuchen Neco Çelik und das Streetart-Ensemble Renegade tänzerisch die Verbindung von Hip-Hop und Islam.

Von: Friederike Felbeck

Es ist ein großes Dilemma. Du glaubst, du stehst auf deinen eigenen Beinen, lebst dein Leben, und merkst gar nicht, wie tief du im Schlamassel drinsteckst. Nur dein Aussehen bestimmt noch, wer du bist. Spätestens seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht gibt es keine Unschuld mehr. Die Untäter haben ein Gesicht. Und jeder, der ihnen gleicht, ist einer von ihnen. Das Individuum wird abgeschafft.

Wie verbindet man Hip Hop und Islam?

Basmala – Freund oder Feind“ - Neco Çeliks zweite Produktion in Kooperation mit dem Herner Kulturverein Pottporus e.V. und dem daraus entstandenen Tanzensemble Renegade steht unter zwei Vorzeichen, die ihm heute, kurz vor der Premiere, fast naiv erscheinen: Hip-Hop und Islam. Wie verbindet man das? Wer benutzt wen? Was haben die beiden überhaupt gemeinsam? Gehören Hip-Hop und Islam wirklich zusammen? Eine Wucht von Themen ist es, denen sich die fünf sehr unterschiedlichen Tänzer (Milad Samim, Ibrahima Biaye, Said Gamal, Sefa Erdik und Freddy Houndekindo) stellen.

Denn Hip-Hop wird schon längst missbraucht, um für den Salafismus zu interessieren. Selbst Rapper wie 50 Cent oder J Zay senden in ihren Texten „versteckte Botschaften“, die ihr Verhältnis zum Islam wiedergeben. Der Faktor Islam drängt den Hip-Hop zunehmend beiseite, vereinnahmt das, was eine Bürgerrechtsbewegung war. Beide – Hip-Hop und Islam – verschaffen Halt, bedeuten Identität und Zugehörigkeit. Aus dem Draußensein wird ein selbstgewähltes (und selbstinszeniertes) Drinnensein. Das Dilemma: Als ausgegrenzte, stigmatisierte Außenseiter definieren sie die eigene (Sub-)Kultur als Heimat und liefern dadurch erneut eine Angriffsfläche für Diskriminierungen und Missverständnisse.

Seit 13 Jahren sei er mit diesem Dilemma beschäftigt, sagt Neco Çelik, Regisseur und Choreograf des Abends. Çelik hat selbst erfolgreich die Seiten gewechselt. Er schmiss die Schule, wurde Mitglied einer Kreuzberger Gang, bevor er von 1993 bis 2008 als Medienpädagoge im Jugendzentrum Naunynritze in Kreuzberg arbeitete. 2006 inszenierte er Feridun Zaimoglus und Günter Senkels „Schwarze Jungfrauen“, wurde Hausregisseur am neu gegründeten Ballhaus Naunynstraße und erhielt 2011 in der Sparte Kinder- und Jugendtheater den Deutschen Theaterpreis Der Faust.

Tanz als gemeinsame Sprache

Nun probiert er mit einem internationalen Ensemble; die Tänzer kommen aus Ägypten, dem Iran, dem Senegal und der Türkei, leben in Madrid, Nizza, Berlin oder Saarbrücken. Es gibt keine gemeinsame Verkehrssprache, es gibt nur den Tanz. Der Quereinsteiger Çelik muss den Tänzern erst die Furcht nehmen, auch als Schauspieler zu agieren, ohne Schauspieler zu sein.

Milad Samim ist Weltmeister im Krumping (Tanzstil aus L.A.), Sefa Erdik Breakdancer, Freddy Houndekindo hat zeitgenössischen Tanz in Lyon und an der Folkwang Universität der Künste studiert. So unterschiedlich die Bewegungsstile der fünf Akteure sind, so unterschiedlich ist auch ihr Verhältnis zum Islam, ihre Religiosität. Gecastet, weil sie Tänzer und Muslim sind (nur Freddy Houndekindo ist als Einziger kein Muslim, sieht aber, witzelt Çelik, am meisten so aus), stoßen sie im Probenprozess an ihre Grenzen: Religion ist etwas Privates, Intimes.

Çelik schöpft aus dem Repertoire der Tänzer: „Ich entdecke sie, während sie proben.“ Indem er Fragmente ihrer Bewegungen wiederholt, konfrontiert er sie mit ihrem eigenen Duktus. So wandert die Aufführung zwischen den überformten Zitaten religiöser Rituale und dem wütenden Stampfen und der explosiven Körperlichkeit des Hip-Hops hin und her. „Basmala“ ist die religiöse Formel, die (fast) jeder Sure des Korans voransteht und die in bestimmten Lebenssituationen angerufen wird. Über persönliche Geschichten der Verletzung und Diskriminierung, der Ausgrenzung und Stigmatisierung haben Neco Çelik und seine fünf Tänzer während der Proben oft genug gesprochen.

Dabei sind die Erfahrungen, aber auch die Positionen der Beteiligten sehr unterschiedlich, zwischen denen er – ganz der Sozialarbeiter – vermittelt. Hip-Hop heißt auch: in einem Elfenbeinturm leben. Der ist nun gehörig ins Wanken geraten. Die Attentate in Paris, die Flüchtlingskrise, schließlich die Silvesternacht in Köln: Es ist ein „Crescendo von Gefühlen, denen man gar nicht hinterherkommen kann“. So bedeutete der Probenprozess auch, sich ständig neu zu definieren angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Rap trifft auf melodiöse Kompositionen

Die Zeche 1 in Bochum ist dafür ein spektakulärer Ort. Die halbhohen rohen oder gekachelten Wände, die galerieartigen Fenster geben dem Raum sehr viel Kraft. Es ist ein Raum für Künstler, die „sehr glücklich sind, wenn sie auf der Bühne stehen“, beschreibt es Sabine Reich, die frühere Dramaturgin des Schauspielhauses Bochum, die die Projektleitung für das 2015 gegründete Zentrum für urbane Kunst übernommen hat. Ihre Aufgabe wird es sein, der Zeche 1 ein Profil zu geben, mit den zahlreichen Partnern einen Spielplan zu entwickeln und sich um Förderung zu bemühen.

Renegade in Residence, ein freies Tanzensemble, das aus dem Herner Verein Pottporus hervorging, war bereits vor Ort. Dessen künstlerischer Leiter ist Zekai Fenerci. Gemeinsam mit Neco Çelik hat er die Idee zu „Basmala“ entwickelt und bringt damit an den historischen Ort zahlreicher Choreografien von Reinhild Hoffmann, die etwa 1992 hier ihr Stück „Zeche 1“ uraufführte, den Tanz zurück. Zum weiteren Netzwerk gehören unter anderem das Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität der Künste Essen, die Deutsche Sporthochschule Köln mit ihrem Institut für Tanz und Bewegungskultur, das Prinzregenttheater Bochum und das freie Ensemble kainkollektiv.

Çelik hat das Talent, komplexe Themen mit tänzerischen Mitteln zu beackern. Musikalisch im Zentrum steht Rap, aber auch die extravaganten und melodiös-schwirrenden Kompositionen der Isländerin Anna Thorvaldsdottir. Diesen Gegensatz braucht es, denn Hip-Hop ist ein Gemeinplatz und wird längst in Parodien verspottet. So schaffte es auch „Lass die Affen aus’m Zoo“ des Offenbacher Rappers Haftbefehl bis ins Neo Magazin Royale und wurde dort von Jan Böhmermann und einem folkloristisch angehauchten „Nerdchor“ als „subkultureller Schlager“ persifliert.

„Basmala“ versucht zu differenzieren

Aber wie ernst kann man Haftbefehl-Texte auch nehmen wie „Ich nehm dir alles weg, die Schlüssel zu deinem Haus, die Bitch, die du liebst, den Mercedes, den du fährst. Ich nehm dir alles weg, und töte deinen Bruder. Ja, du hast recht, das Leben ist nicht fair“? Rap ist Business, und die Karrieren führen – wie bei Haftbefehl (mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan) – vom Jugendarrest direkt in den Red-Bull-Soundclash. Krumping gibt’s auch bei Madonna, und Bushido fährt BMW und trägt Lacoste. Die Texte sind teilweise – bis zur Unerträglichkeit – antisemitisch, sie sind frauenfeindlich und „sozialethisch desorientierend“, wie es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nennt.

Aber was Çelik und sein Ensemble proben, ist ein Aufstand aus dem selbstgewählten Getto. So wie Hip-Hop kommerzialisiert wurde, so wird er inzwischen auch islamisiert. Eine „innerislamische“ Debatte, wie Çelik sie nennt, findet in der Öffentlichkeit nicht statt. „Basmala“ versucht zu differenzieren und aus der homogenen geheimbündlerischen Masse wieder Individuen werden zu lassen, und erzählt davon, wie man sich mit Hip-Hop vor dem Verrücktwerden schützen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst in Theater der Zeit, Ausgabe 4/2016.

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