Beziehungskrise? Kann man immer was draus lernen
Über die Kunst der Partizipation und ihr Scheitern
30.05.2016
Spiele, Mitmachtheater, Partizipation, Kollaboration: Solche Begriffe tauchen oft auf, wenn es um die Öffnung von Institutionen, oder gar mehr Demokratie in Entscheidungsprozessen geht. Worüber selten gesprochen wird, ist das Scheitern von Partizipation. Was lässt sich mit Hilfe von Kunst darüber lernen?
Von: Katrin Bettina Müller
Die Vorwurfskarten liegen auf dem Tisch. fake steht da bloß, ich glaube nicht an deine Versprechen. hä?, du redest viel zu kompliziert. peinlich lässt du mich aussehen. Scheiße, was für eine hässliche Situation. Tyrannei, die Macht ist hier ja wohl ungerecht verteilt.
Man könnte sich gut vorstellen, ein Paar handelt mit diesen Karten seine Beziehungskrise aus. Aber den beiden Künstlern Jennifer Aksu und Sebastian Quack, die die Vorwurfskarten in ihrem Büro am Berliner Mehringplatz vor mir auf dem Tisch ausgebreitet haben, geht es um eine andere Form der Störung zwischen potenziellen Partnern.
Die beiden gehören zum dem Kollektiv „Invisible Playground“, das seit 2009 spielerische Formate für den öffentlichen Raum in unterschiedlichen Städten entwickelt hat. Was sie auf den Karten notiert haben, ist ein Resümee dieser Arbeit. Denn mit der Skepsis und dem Misstrauen derjenigen, die als NutzerInnen und TeilnehmerInnen ihrer Spiele angesprochen werden, müssen sie immer wieder umgehen.
Die Karten kamen das erste Mal zum Einsatz bei einer Lecture über „Failed Participation“, zu dem die beiden weitere KünstlerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen im April 2016 eingeladen hatten. Sie sind in ihrer Schlichtheit aber auch ein Instrument für Jennifer Aksu und Sebastian Quack, um gedankliche und begriffliche Klärungen vorzunehmen. Das ist ihnen im Austausch mit anderen KünstlerInnen und OrganisatorInnen von Spielen wichtig, nicht zuletzt um Kriterien zu schaffen, welche Aufträge man annehmen möchte.
Komplizenschaften und Kollaborationen
Über das Scheitern partizipativer Projekte, meint Quack, werde zu wenig geredet, womöglich auch aus Angst, dann keine Aufträge zu bekommen. Oft beginne das Scheitern damit, gerade im spannenden urbanen Feld, bei verkehrs- und stadtplanerischen Entscheidungen oder bei der Nutzung von öffentlichem Raum, dass Prozesse der Beteiligung zu spät einberufen würden.
Sie fänden erst zu einem Zeitpunkt statt, an dem die politischen Entscheidungen schon gefallen zu sein scheinen und es eigentlich nur noch um ihre Vermittlung und Schaffung von Akzeptanz gehe. Die Vorwurfskarte „Tyrannei“ steht für diese Instrumentalisierung, da ist die Partizipation zur Verschleierung von Machtverhältnissen eingesetzt.
Ein schönes Beispiel aus der Praxis von Invisible Playground ist die „Weltmeisterschaft für spielbare Architektur“, ein 72-stündiger Wettbewerb, den sie zusammen mit der Gruppe 72 Hour Urban Action in der Stadt Witten 2014 organisierten. Dabei ging es um die kurzfristige Schaffung von bespielbarer Architektur auf öffentlichen Plätzen in der Stadt, die wenig genutzt oder wahrgenommen wurden.
Mehrere Teams aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Spieldesign und Handwerk schafften es, einladende Spiele und Architekturen zu entwickeln. Das war in kleinen, und nicht teuren Schritten ein gelingendes Ausprobieren von Veränderungen. Aber etwas davon zu erhalten und auf Dauer zu pflegen, dazu sah sich die Stadt finanziell nicht in der Lage.
Spiele, Mitmachtheater, interaktive Projekte, Partizipation, Komplizenschaften, Kollaboration: alle diese Begriffe werden oft unscharf in einen Topf geworfen, der irgendwie zur Öffnung von Institutionen, zur mehr Transparenz und gar zu mehr Demokratie in Entscheidungsprozessen beitragen soll. Sie werden nicht selten als Geheimwaffen, Reparatur- und Verschönerungsarbeiten dort aus dem Hut gezogen, wo der politischen Bürokratie - etwa einer Stadt - schon etwas von ihrem Versagen schwant.
Spielend scheitern
Eine andere Geschichte erzählte Eva Plischke vom Berliner Theaterkollektiv Turbo Pascal, die in ihren Arbeiten fragen, „welche Strukturen beeinflussen und steuern unser Denken, unsere Handlungen und unser Zusammenleben als Gesellschaft?“. „Wie geht Veränderung, was ist veränderbar“ wollten sie vor zwei Jahren mit den mehr als 200 Mitarbeitern des Theaters Freiburg erkunden. Aber sie bekamen keine Struktur hin, um Treffpunkte für Leute aus verschiedenen Abteilungen zu schaffen.
Sie waren damit konfrontiert, als eine Art Unternehmensberatung angesehen zu werden, die nach streichbaren Stellen fahndet oder als politisch gewünschtes Prestigeprojekt des Theaters. Finanziert wurde die Zusammenarbeit von Freier Gruppe und Stadttheater von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Programms Doppelpass.
Statt über Entwürfe und Visionen zu reden, so Plischke, hätten die Mitarbeiter mehr über fehlende Zeit und Arbeitsdruck geredet; ein Ergebnis, dass die Theaterleitung nicht als Ergebnis eines Workshops für Veränderung hören wollte. Das Team um Turbo Pascal aber hat daraus gelernt, dass Veränderungsprozesse nicht „on top“ zu alltäglichen Arbeiten zu leisten sind, denn keine der üblichen Anforderungen des Apparates wurde in der Zeit weggelassen.
„Scheitern ist der Kunst immanent, Künstler lernen, damit umzugehen. Aber der Politik, der Stadtentwicklung fehlen dafür Instrumente“, sagt Sebastian Quack. Aus dem Scheitern lasse sich aber eine Menge lernen, meint er, es ist Teil von Prozessen der Veränderung. Sich mit „Failed Participation“ zu beschäftigen, ist deshalb für ihn und Jennifer Aksu, nicht identisch mit einer Absage an die Partizipation. „Ich habe Mitleid mit der Idee, da steckt noch immer etwas Wertvolles drin“, sagt Quack.
Soziale Situationen schaffen
Die kritische Selbstbefragung der Theaterkollektive kommt in einem wichtigen Moment. Denn sie trifft auf gleich mehrere Veränderungen in Kultur und Gesellschaft. Da ist auf der einen Seite der kulturelle Siegeszug von Spielen, der „Gamification“, oft im Dienste einer Steigerung der ökonomischen Verwertbarkeit oder von erzieherischen Zielen. Auf der anderen Seite ist die Auflösung von Kunst in eine soziale Praxis der Versuch von Theatern und verwandten Künsten, eine Antwort auf neue gesellschaftliche Herausforderungen zu finden:
Wie begegnet man neuen Migrationsbewegungen, wie geht man mit der Ankunft vieler Geflüchteter um, wie wehrt man sich gegen einen erstarkenden Rechtspopulismus? Dieser Wirklichkeitsdruck erzeugt eine Neuverhandlung zwischen dem Innen und dem Außen der Künste. Vor diesem Hintergrund bleibt keine Kunstform unberührt. Ob sie sich nun zur Intervention entscheidet oder nicht, scheint im Augenblick von größerer Tragweite und Verantwortung als bisher.
Womöglich kann das Spiel da, wo es gleich um so große Fragen geht, Erleichterung verschaffen und etwas Druck herausnehmen. Zumindest in dem Sinne, wie Jennifer Aksu beschreibt, wie Spiele sein sollten. Eben nicht auf ein Kunstprodukt oder ein Ergebnis hin orientiert, sondern auf die Schaffung von sozialen Situationen. „Spiele verführen“, sagt Jennifer Aksu, „sie führen niemanden vor.“ Die Lust des Körpers muss angesprochen werden, um mitzumachen, und die Lust des Geistes, Geschichten zu finden und sich in Geschichten zu finden. Dann könnten die Vorwurfskarten fake, Tyrannei oder hä? vielleicht bald weggelegt werden.