Kunst gemeinsam definieren
06.09.2016
Viele geflüchtete KünstlerInnen werden derzeit gemeinsam mit Laien auf Bühnen gestellt, ohne dass es immer einen ausreichenden Wissenstransfer zwischen Ideen, Rollenerwartungen und sinnvollen Beteiligungsformen gibt. Der vorliegende Beitrag analysiert das Problem und stellt Ansätze vor, wie es anders gehen kann.
Von: Mafalda Sandrini , Gernot Wolfram
Nach den emotional aufgeladenen Monaten samt ihren medial omnipräsenten Diskussionen über den Zuzug von Geflüchteten nach Deutschland ist es im Moment etwas ruhiger geworden um die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Geflüchteten. Im Kulturbereich wird indes langsam deutlich, dass kurzfristige Maßnahmen wie die Integration von Geflüchteten in Theaterstücke, Opernaufführungen und Performances keine dauerhafte Lösung sind, um sich hier angemessen zu beteiligen. Obgleich ein geradezu inflationäres Zur-Schau-Stellen der Flüchtlingsthematik im Moment den kulturellen Raum bestimmt.
Geflüchtete als Mode-Thema in der Kultur und im Kulturbetrieb
Nach den Mühen der Gebirge kommen aber bekanntlich die Mühen der Ebenen. Besonders deutlich wird das bei der Frage, welche künstlerischen Formen, Konzepte und ästhetischen Bezüge in den Mittelpunkt rücken sollen. Bislang zeigen sich zwei Tendenzen: Integration von Laien und KünstlerInnen aus den Flüchtlingscommunities ins hiesige Kulturleben und in westliche Produktionsformate. Oder die Konzentration auf die Darstellung von häufig arabisch geprägten Kulturformen, präsentiert von geflüchteten KünstlerInnen. Beides ist nur selten befriedigend, weil es der neuen besonderen Situation nicht gerecht wird.
Der Wunsch vieler Geflüchteter besteht darin, sich in der deutschen Gesellschaft lernend und selbstagierend einzubringen. Nicht als Geflüchtete, sondern als Menschen mit Kompetenzen, Ideen und Fähigkeiten. Das betrifft natürlich auch KünstlerInnen. Der syrische Schauspieler und Musiker Ramadan Ali, Mitglied im von den Autoren dieses Artikels gegründeten Vereins „Board of Participation“, betont etwa in einer aktuellen Publikation: „Ich bin ein Schauspieler, der auch ein Flüchtling ist, aber kein Flüchtling, der ein Schauspieler werden will.“ (Wolfram/ Sandrini 2016)
Ein Standpunkt, der verdeutlicht, dass die „Flüchtlingsthematik“ kein Thema ist, auf das man eine künstlerische Identität aufbauen kann. Das bedeutet auch, eine strukturelle Lösung zu finden, wie man in Zukunft künstlerische Positionen von Geflüchteten nicht nur projektweise einbinden, sondern auch in Kulturbetrieben verankern kann, wie es beispielsweise Patrick Föhl vorgeschlagen hat.
Künstlerische Qualität gemeinsam definieren
Ramadan Ali hat es unter dem Künstlernamen Ramo geschafft, an zahlreichen deutschen Theatern und für einige ZDF-Produktionen engagiert zu werden. Er sieht eine Schwierigkeit darin, wie viele andere KünstlerInnen auch, dass beim Thema Flüchtlinge keine ausreichende künstlerische Qualitätsdiskussion stattfindet. Häufig, so meint er, reicht es, den Flüchtlingsstatus zu haben, um für Kulturproduktionen interessant zu sein. Längerfristig müsse es aber darum gehen, künstlerische Qualität in den Mittelpunkt zu rücken sowie Fragen des gegenseitigen Austausches und Lernens. Oder eben darum, Ansätze einer wirklichen Beteiligung von Menschen und ihren Wünschen nach kultureller Partizipation zu entwickeln.
Dabei zeigt sich aktuell auch in anderen künstlerischen Bereichen ein Umdenken, bei dem es um die Frage geht, welche Möglichkeiten eines transkulturellen Austausches (vgl. Wolfram 2012) die aktuelle Flüchtlingssituation für den Kulturbereich bereithält. An der Berliner Kunsthochschule in Weißensee wurde etwa ein Projekt für Design und Kunst studierende Geflüchtete und AsylbewerberInnen ins Leben gerufen, das sich mit der (Wieder-)Herstellung von Kunstmappen beschäftigt. Die Kurse der *foundationClass vermitteln die Grundlagen für eine Bewerbung an einer deutschsprachigen Kunsthochschule.
Ziel ist eine Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Material der Vergangenheit und genuinen künstlerischen Positionen, die freilich auch dazu führen werden, dass andere ästhetische Werte und Normen in den häufig sehr westlich dominierten Kunstbetrieb Einzug halten. Gegenseitiges Lernen und transkulturelle Diskursivität rücken ins Zentrum. Hier wird die Zukunft zeigen, wie stark auch andere Akteure aus Deutschland und anderen Ländern in diesen Prozess eingebunden werden. Und ob diese Maßnahmen zu Diskursfeldern führen, die eben nicht nur Geflüchtete betreffen.
Neue Ansätze einer gemeinsamen Arbeitsweise
Das Forschungsprojekt „The Moving Network“ der Hochschule Macromedia Berlin hat innerhalb dieses Wandels ein Projekt initiiert, das, auf Basis von 90 Interviews mit Geflüchteten, vor allem Multiplikatoren aus den Flüchtlingscommunities im Bereich der Kulturellen Bildung Raum für die Artikulation eigener Positionen fördert. Geflüchtete werden dazu ausgebildet, selbstständig Kurse zu Themen der Kulturellen Bildung und der Medienbildung in- und außerhalb der Flüchtlingsheime abzuhalten. Voraussetzung ist ein inhaltlicher Bezug, Studium, Ausbildung oder intensives Interesse für dieses Feld. Dafür erhalten sie ein Zertifikat, das ihnen die Lehrerfahrung in Deutschland bestätigt. Zudem berichten sie über Lehrerfahrungen, aber auch Kursinhalte bei öffentlichen Veranstaltungen und geben das Konzept des Selbstunterrichtens an andere weiter.
Die ersten Kurse sind erfolgreich evaluiert worden und zeigen, dass viele Geflüchtete andere Wünsche, Erwartungen und Meinungen innerhalb solcher Kurse artikulieren als in Gegenwart etwa von deutschen IntegrationslehrerInnen. Das betrifft auch die Wünsche nach kultureller Teilhabe. Deutlich wird hierbei, dass MultiplikatorInnen vor allem als kulturelle ÜbersetzerInnen wirken, dass sie differenziert auf unterschiedliche ethnische, religiöse, aber auch kulturbezogene Normen und Werte eingehen.
Die Auswertungen der Forschungsergebnisse zeigen, dass viele Geflüchtete sich mit einer Überkomplexität an Erwartungen von deutscher Seite konfrontiert sehen, die häufig mit dem Gefühl einer Überforderung einhergehen. Gleichzeitig gibt es den Eindruck, Menschen zweiter Klasse zu sein, die als „Material“ gebraucht und benutzt werden. Noch einmal eine Aussage des syrischen Schauspielers Ramadan Ali.
„Die Hilfsbereitschaft in Deutschland ist sehr groß, aber wenn ich Einladungen erhalte, bei denen ich merke, dass mit meiner Geschichte bestimmte Ziele erreicht werden sollen oder Geld eingeworben wird, sage ich ab. Das hat ja dann mit mir als Künstler nichts zu tun.“ (Wolfram/ Sandrini 2016) Die Präsenz als Lehrer in der Kulturellen Bildung und der Medienbildung kann also eine strukturelle Maßnahme sein, hier eigene Standpunkte längerfristig zu formulieren.
Schließt der Qualitätsdiskurs Menschen aus?
Künstlerische Qualität in den Mittelpunkt zu rücken, setzt freilich voraus, sich darüber zu verständigen, wie man diese definiert. Hierin liegt die große Herausforderung für deutsche Kulturbetriebe. Besteht die Bereitschaft, sich auf möglicherweise stärker emotional orientierte Diskurse über Kunst und Poesie einzulassen? Unser Verständnis von Kunst überhaupt in Frage zu stellen? Ist ausreichend Interesse für neue ästhetische Diskurse vorhanden, die bei deutschsprachigen RezipientInnen zunächst Lernschritte voraussetzen? Gibt es eine Offenheit dafür, Multiplikatoren einzusetzen, die zwischen dem vertrauten und dem neuen Publikum vermitteln können?
Das gilt freilich nicht nur für den Kulturbetrieb, sondern gesamtgesellschaftlich. Es geht daher nicht darum, hier nur die „besonders guten“ KünstlerInnen herauszupicken, sondern um Formen der Beteiligung, bei der man eben auch sagen kann, in einem gemeinsamem Raum, was man künstlerisch spannend findet und was nicht. Hierbei sollen nicht nur KünstlerInnen angesprochen werden, sondern alle, die sich für das Feld interessieren. Nur eben nicht unter dem Schirm von erweiterter Sozialarbeit. Das schließt langfristig viel mehr Menschen aus. Denn was passiert mit den vielen Laien, die gerade in Stücken, Performances und auf Konferenzen auftreten, wenn die Aufmerksamkeit vorbei ist? Wohin können sie sich entwickeln, wenn es keine Idee gibt, was kulturelle Teilhabe für ihr Leben eigentlich meint. (vgl. Borwick 2012)
Nicht die große Lösung verbunden mit der überladenen Vokabel Integration steht hier zur Debatte, sondern eine Auseinandersetzung über den Transfer von Wissen, Verständigung über Erwartungen auf beiden Seiten, Kritikfähigkeit und Realismus. Gerade die Kultur kann und muss keine Lösungen bieten, wohl aber Wege aufzeigen, welche Formen der Wahrnehmung und sensiblen Kommunikation zwischen häufig nur scheinbar Fremden stattfinden können.
Spezifisches Wissen fehlt häufig auf beiden Seiten
Viele Kulturprojekte, die im Moment mit Geflüchteten arbeiten, bringen oft relativ wenig Wissen über die Besonderheiten der Herkunftskulturen von Geflüchteten mit. Auf beiden Seiten. Das ist nichts Ungewöhnliches, bedeutet jedoch, dass transkulturelles Kulturmanagement hier eine Rolle spielen kann und sollte. Anders als beim „postmigrantischen Theater“, wo bereits im Titel der Bezug zur Herkunft und Migrationserfahrung immer wieder betont wird, ließe sich bei einem transkulturellen Arbeitsansatz der Herkunftsdiskurs überwinden sobald gemeinsame Themen identifiziert werden können wie das etwa im Berliner Refugio Sharehouse oder beim Multaka-Projekt des Vorderasiatischen Museums Berlin bereits geschieht.
Hier geht es vor allem um Fragen von neuen Perspektiven und einer Diversität von Stimmen, die immer auch in Bezug auf die deutsche Seite gedacht werden. Viele Geflüchtete sind sehr daran interessiert, die Kultur ihres Ankunftslandes kennen zu lernen, sich an ihr zu beteiligen und Austausch aktiv zu leben. Das kann aber nur geschehen, sofern es keine Agenda gibt, auch hinsichtlich der Einwerbung von Fördermitteln, bei der Geflüchtete einfach als partizipatives „Thema“ gesetzt werden. Flucht ist als Thema so vielschichtig und komplex, dass es notwendig ist, klare Differenzierungen vorzunehmen, besonders wenn ein künstlerischer Zugang gewählt wird. Erst hier wird sich erweisen, wie ernst es der deutschen Gesellschaft mit der Situation ist.
Die bisherigen kulturtheoretischen Diskurse, die immer stärker in vielen Bereichen auf Spezialisierung im Kontext einer westlichen Interpretationsgeschichte setzen, werden sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie sich auf andere Interpretationen, Zugänge und Texte einstellen werden? Die moderne arabische Kultur hat in ihren widerständigen Subkulturen viele Fragestellungen entwickelt, die erhellende Parallelen zur westlichen Ideengeschichte bilden, aber doch verschieden von ihr sind.
Es geht nicht darum, diese einfach zu übernehmen, aber als Einwurf, Anregung, Impuls könnten sie zu einer Situation führen, in denen wir mehr künstlerische Multiplikatoren in Deutschland hätten und weniger gutgemeinte solidarische Konzepte, die aus Fürsorge und Engagement auf eine längerfristige Qualitätsdiskussion verzichten. Die Forschungsergebnisse des „Moving Network Projektes“ zeigen jedenfalls, dass der Weg hin zum Empowerment von künstlerischen und kulturmanagerialen Multiplikatoren ein lohnenswerter sein kann.
Dieser Beitrag erschien zuerst im KM Magazin Juni 2016
Literatur:
Borwick, Doug (2012): Building communities, not audiences. The future of the arts in the United States, Winston-Salem
Wolfram, Gernot; Sandrini, Mafalda; Tabakovic, Alen (2016) (Ed.): Teachers for Life. Empowering refugees to teach and to share knowledge. Berlin: Board of Participation Publishing (PDF: 14,5 MB)
Wolfram, Gernot (2012): Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit. Bielefeld: transcript