Aktiv Anti-professionell

19.09.2017

Mehrere Person stehen im Freien, unterhalten sich, lachen
Kunstvermittlung kann Institutionen dabei helfen, sich selbst zu entwickeln. | Foto: Ruth Noack

Warum ist Kunstvermittlung für Museen und andere Kulturinstitutionen wichtig? Welche Herausforderungen gibt es dabei? Ruth Noack spricht im Blog „The Art Educator’s Talk“ über die Zukunft der Kunstvermittlung, offene Lernprozesse und die Rolle der Freiheit im Bildungsprozess.

Von: Gila Kolb

In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn?

Aktuell lehre ich im Rahmen eines M.A. Studienganges am Dutch Art Institute, aber im Laufe meines Erwachsenenlebens habe ich in unterschiedlichen Kontexten der Kunstvermittlung gearbeitet.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

Mit KollegInnen aus unterschiedlichen Feldern und Lebensabschnitten. Mit KünstlerInnen. Mit (meinen) Studierenden.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

Kunstvermittlung sollte ein Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Parteien und den involvierten Objekten sein. Nur dann, wenn alle beteiligte AkteurInnen (Menschen und Institutionen) dabei lernen, ist es Kunstvermittlung.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst für Dich zueinander?

Idealweise inspirieren sie sich gegenseitig.

Warum zeitgenössische Kunst vermitteln?

Es gibt einen Unterschied zwischen Vermittlung (mediation) und Vermittlung/Bildung (education). Letzteres interessiert mich mehr. Oft ist zeitgenössische Kunst Teil von spezialisierten Diskursen. Es ist nicht davon auszugehen, dass potentielle BetrachterInnen diese kennen. Zumindest sollten VermittlerInnen/KuratorInnen/Institutionen es den BetrachterInnen ermöglichen zu verstehen, dass dies so ist und zugleich deutlich machen, dass Kunstvermittlung/Bildung oder Spezialisierung nur eine von vielen Möglichkeiten sein könnte, um ein Kunstwerk zu verstehen.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

Konzeptionell sind beide manchmal gleich. Institutionell und normativ verstanden, können ihre Ziele widersprüchlich sein. Deshalb ist eine erhöhte Selbstreflexivität seitens der KuratorInnen, VermittlerInnen und Institutionen notwendig.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?

Beide haben eigenständige diskrete, „subject formations“, die sie in unterschiedliche Machtverhältnisse bringt. Ein Stereotyp ist, dass ein/e KuratorIn mehr Macht hat und besser bezahlt wird als ein/e KunstvermittlerIn, und ganz sicher ist das immer noch die Sprachregelung und Praxis vieler Museen. In Anbetracht des „educational turn“ bezweifle ich aber, dass dieses Stereotyp noch empirisch haltbar wäre.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?

Idealerweise werden Institutionen das Potential der Kunstvermittlung begreifen: Mehr als nur die Kunst oder die Institution zu vermitteln, kann die Kunstvermittlung den Institutionen dabei helfen, sich selbst als „permanent in Verhandlungen“ stehend, als sich entwickelnd zu begreifen.

Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?

Ich halte Institutionen für weit weniger homogener, als sie oft beschrieben werden. Die Räume, die es erlauben, alles gut zu besprechen, sind immer besondere: Sie sind Organismen, die ungewöhnliche Personen, ungewöhnliche Kunstpraktiken, bestimmte Architekturen, bemerkenswerte institutionelle Geschichten oder Praktiken, um ein aktives Publikum einbinden zu können.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

Das ist davon abhängig, wie selbstreflexiv und institutionell gefestigt die KunstvermittlerInnen sind – eine Grundvoraussetzung ist, dass sie mit verschiedenen Situationen experimentieren können. Manchmal genügt es, die Menschen wissen zu lassen, dass die Institution ihre agency begrüßt. Manchmal lässt sich agency nur durch das Durcharbeiten von Konflikten erreichen.

Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?

Die Forderung nach Kriterien in Bildungsprozessen finde ich problematisch, weil sie meistens zu der generellen Tendenz gehört, den Erfolg oder Misserfolg einer pädagogischen Praxis innerhalb ökonomisierter oder anderweitig gouvernementaler, überdeterminierter Diskurse zu messen. Das einzig wahre Maß der Bildung ist Freiheit, d.h. die Freiheit, seinen Geist und seine Rechte geltend zu machen, die Freiheit, sich selbst als in einer von vielen geteilten Welt zu erleben, etc..

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?

Improvisation, zu gleichen Teilen auf der Grundlage von Erfahrung, Wissen und Inspiration.

Woran arbeitest Du gerade?

Ich bin gerade dabei, eine Kunstinstitution in einer staatlichen Schule aufzubauen.

Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

Meistens inspirieren mich Menschen. Gerade jetzt, einige davon sind (unter anderem): Gabi Ncobo, Luis Jacob, Antke Engel, Tina Gverović, May Adadol Inganwanji, Marcelo Recende, Gabrielle Schleijppen, John Barker, Anna Daučíková, Uli Sigg, Grace Samboh, Hafiz Rancajale, Otty Widasari, Scott Miller Berry, Mary Ellen Carroll, Ines Doujak, Gangart, Leo Baumfeld, Manuela Ammer, Silke Ballath, Anja Scheffer…

Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?

Warum interessiert Du Dich für Kunst?

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

Aktiv Anti-professionell. Auf Basis eines selbstreflexiven, begehrenden, politischen Ethos von Bildung.

Übersetzung aus dem Englischen: Gila Kolb, Cynthia Krell.

Erstveröffentlichung: The Art Educator’s Talk: What does S/he say?, August 2016, Interviewerin: Gila Kolb.

Ruth Noack hat eine Ausbildung zur bildenden Künstlerin und Kunsthistorikerin absolviert und arbeitet seit den 1990ern als Autorin, Kunstkritikerin, Universitätslektorin und Ausstellungsmacherin.

Noack war Kuratorin der documenta 12 (Kassel, 2007). Zu ihren Ausstellungen zählen u.a. Scenes of a Theory (The Depot, Wien, 1995), Things We Don’t Understand (Generali Foundation, Wien, 2000), Organisational Forms (Kunstraum Universität Lüneburg; Škuc, Ljubljana; Hochschule für Graphik, Leipzig; 2002−3) und The Government (Witte de With, Rotterdam; MAC, Miami; Secession, Wien; 2005).

2012 entwickelte sie das Ausstellungslayout für Garden of Learning (Busan Biennale) und kuratierte die erste Einzelausstellung von Ines Doujak in England, Not Dressed for Conquering – Ines Doujak’s Loomshuttles/Warpaths (RCA, London). In diesem Jahr hat sie einen Teil von Voice – Creature of Transition (Rietveld Academy, Amsterdam) kuratiert. Aktuell arbeitet sie an Sleeping with a Vengeance − Dreaming of a Life und Fragments and Compounds (Ethnologisches Museum, Berlin; Johann Jacobs Museum, Zürich).

Von 2012-13 war Noack Leiterin des Curating Contemporary Art Programms am Royal College of Art, London sowie Forschungsleiterin des EU-Projekts MeLa – European Museums in an age of migrations. Im Winter 2013-14 war sie Gastprofessorin an der Akademie der Bildenden Künste Prag and leitete den International Curator Course der Gwangju Biennale 2014.

Ihre letzten veröffentlichten Publikationen sind Sanja Ivekovic,: Triangle bei Afterall Books und Agency, Ambivalence, Analysis. Approaching the Museum with Migration in Mind für das Politecnico di Milano (beide 2013).

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