„Der Schlüssel zur Teilhabe“
15.12.2017
Egal ob im Museum oder im Theater: Leichte Sprache macht kulturelle Angebote für Menschen zugänglich, die ansonsten ausgeschlossen blieben. Ein Gespräch mit Christiane Maaß, Direktorin der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim.
Leichte Sprache muss mit dem Vorurteil kämpfen, zu vereinfachend, verniedlichend oder aufwändig zu sein. Wie hoch ist die Akzeptanz von Leichter Sprache in unserer Gesellschaft?
Leichte Sprache schafft Zugänge zu verschiedenen, häufig fachlichen Kontexten. Diese Kontexte sind komplex und so ist Vereinfachung Teil des Geschäfts. Allerdings sollten die Texte nicht verniedlichend klingen. Tun sie dies, so liegt möglicherweise keine gute Übersetzung vor. Angemessene und funktionierende Texte in Leichter Sprache zu erstellen, ist deswegen nicht einfach. Die Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim will dazu beitragen, dass sich die Qualität der Übersetzungen für Leichte Sprache in den kommenden Jahren erhöht. Ab Herbst 2018 wird es an der Universität Hildesheim deshalb einen neuen Masterstudiengang geben, der Leichte-Sprache-FachübersetzerInnen ausbildet. Leichte Sprache kann nur Akzeptanz finden, wenn die Texte gut sind.
Wie groß ist der Bevölkerungsanteil in Deutschland, der von Leichter Sprache profitieren kann?
Der Anteil ist sehr groß, wir können hier von Zahlen im zweistelligen Millionenbereich ausgehen. Eine Kommunikationseinschränkung kann unterschiedliche Gründe haben: durch eine Behinderung, etwa eine geistige Behinderung oder eine Hörschädigung. Ein Schlaganfall kann zu nachhaltigen Sprachstörungen führen; Demenzen führen zu eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten. Darüber hinaus gibt es leider auch viele Millionen Personen, die das Schulsystem durchlaufen und trotzdem keine ausreichende Lesefähigkeit erworben haben. Und schließlich sind in den vergangenen Jahren viele Menschen nach Deutschland geflüchtet, die nun erst die Sprache erwerben, aber jede Menge Briefe von den Behörden bekommen. Verständliche Texte sind für alle diese Menschen der Schlüssel zur Teilhabe.
Wie wichtig ist Leichte Sprache, um kulturelle Angebote zugänglicher zu machen?
Leichte Sprache spielt hier eine sehr wichtige Rolle, denn Kultur ist zu einem Großteil Kommunikation und sprachlich vermittelt. Wer es mit Teilhabe also ernst meint, öffnet nicht nur Informationsangebote im juristisch-administrativen Bereich, sondern ermöglicht auch kulturelles Erleben. In Sachen Barrierefreiheit allgemein und Leichter Sprache im Besonderen ist in Deutschland vor allem der Museumsbereich im Aufbruch. Deren Angebote in Leichter Sprachen finden sich auf Websites, mittels Audiodeskriptionen oder auf Schautafeln vor Ort. Ein Beispiel ist das Museum der Sinne in Hildesheim. Dort wurde im Bereich der Dauerausstellung des Hauses ein inklusives Museum geschaffen, in dem man die Exponate mit allen Sinnen erfassen kann. Nicht aus Deutschland, aber aus dem deutschsprachigen Bereich gibt es eine weitere Bestandsaufnahme: So hat das Salzburg Museum ein Projekt zu Leichter Sprache im barrierefreien Museum durchgeführt.
Angenommen ein kleines Theater möchte das eigene Programm gemäß Leichter Sprache zugänglicher machen. Wie sollten die TheatermacherInnen vorgehen?
Grundsätzlich kann man sich über die Regeln der Leichten Sprache online informieren. Geht es um Begleittexte im Programmheft oder auf der Website, sollte man sich so gut wie möglich daran halten. Denn diese Texte müssen eigenständig, ohne weitere Hilfe, verstanden werden. Handelt es sich jedoch um mündliche Interaktionen wie Informationsveranstaltungen oder ein ganzes Theaterstück, kommen weitere Ressourcen für das Verstehen hinzu: Mimik und Bewegung auf der Bühne, Bühnenbild, Musik oder auch Kostüme. Experimentieren mit Sprache ist immer Teil des Theaters gewesen. Für Personen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, bietet vor allem das experimentelle Theater viele Möglichkeiten, Kultur zu erleben. Hier befinden wir uns nicht mehr unbedingt im Bereich der Übersetzung, sondern häufig im Bereich der Kreation. Das Stück Shakespeare muss nicht jedes Mal in Leichter Sprache zugänglich gemacht werden, sondern kann sich auch über andere Formen des verständlichen Ausdrucks künstlerisch erschließen lassen. Letztlich geht es bei jeder Form von Theater um das Erschließen von Kultur für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Positive Erfahrungen mit inklusivem Theater, wie beispielsweise der Klub Kirschrot, sprechen da eine deutliche Sprache.
Fragen: Ralf Rebmann / KöW-Redaktion
¹ Übersetzung des abgebildeten Exponats in Leichte Sprache:
Früher haben die Menschen in Höhlen gewohnt.
Die Menschen haben Bilder gemalt.
Auf den Bildern sind zum Beispiel Tiere.
Früher hatten die Menschen noch kein Papier.
Darum haben die Menschen die Bilder auf die Wände von den Höhlen gemalt.
Die Bilder von den Tieren gibt es noch heute.
Die Bilder zeigen uns: Diese Tiere haben früher gelebt.
(Übersetzung durch den Studiengang „Medientext und Medienübersetzung“, Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim)
Weiterführende Literatur:
Duden Grundlagenwerk Leichte Sprache: Bredel, Ursula und Maaß, Christiane (2016), Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis. Hrsg. Dudenredaktion.
Duden Ratgeber Leichte Sprache: Bredel, Ursula und Maaß, Christiane (2016), Ratgeber Leichte Sprache. Die wichtigsten Regeln und Empfehlungen für die Praxis. Hrsg. Dudenredaktion.
Duden Arbeitsbuch Leichte Sprache: Bredel, Ursula und Maaß, Christiane (2016), Arbeitsbuch Leichte Sprache. Übungen für die Praxis mit Lösungen. Hrsg. Dudenredaktion.
Maaß, Christiane (2015), Leichte Sprache: das Regelbuch. Berlin; Münster: LIT.