Von VielfaltsexpertInnen und InklusionsspezialistInnen: Innovative Wissensvermittlung in der Akademie für Vielfalt

26.02.2018

Menschen im Stuhlkreis diskutieren
Einblicke in die Welt von Borderlinebetroffenen - eine Veranstaltung der Akadamie der Vielfalt | Foto: Akademie der Vielfalt

Die Akademie für Vielfalt ist ein Projekt, bei dem „das Außergewöhnliche zu einem Schatz für alle wird.“ In einem geschützten Rahmen treten Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, als ExpertInnen für gesellschaftliche Vielfalt auf.

Von: Bahdja A. Maria Fix

Im angesagten Anticafé Klokke in Mannheim treffe ich mich mit Andrea Frankenbach, der Gründerin der Akademie für Vielfalt. Vielfältig und vollbesetzt ist es, dabei nicht laut. Ich lerne, dass ich hier nur für die verbrachte Zeit zahle. Platz zum Verweilen, Arbeiten, Diskutieren, Lernen – ganz egal. Es zählt, was gefällt. Das ist also einer der Orte, an dem die Akademie für Vielfalt stattfindet.

Die Akademie für Vielfalt ist ein Ort des Austauschs, wo „das Andere im Anderen zählt und das Außer-Gewöhnliche zu einem Schatz für alle wird“, so die Homepage. In zahlreichen Kursangeboten von „Augenspaziergang - entspannt gut sehen“ bis „Zeit für die Seele“ hat jede und jeder die Gelegenheit, Erfahrungen von Ausgrenzung zu überwinden, sich in respektvollem Umgang mit anderen auseinanderzusetzen, zu feiern, Musik zu machen oder Upcycling-Methoden für den Haushalt zu erlernen.

Begriffe wie diversity und Vielfalt stehen in der Medienwelt seit Jahren hoch im Kurs. Die ZEIT betitelte ihre Onlineausgabe im Oktober letzten Jahres zu dem Thema mit dem Begriff „Antirassismus“. Vielfalt sei Widerstand, hieß es da. Noch einige Monate zuvor versteckte sich für die Zeitung dahinter die Angst, nicht dazuzugehören. Wie Andrea das sieht, frage ich mich, als sie lächelnd auf mich zuläuft.

Chancen bieten

Ursprünglich wollte sie Geflüchteten die Chance geben, ihre Ressourcen mit ihren Mitmenschen zu teilen. Sie damit gleichzeitig aus der Deutschlern-Warteschleife holen. Viel will die Akademie leisten und leicht möchte sie es den Menschen machen. Allen Menschen. Ausnahmslos. Geteilte Erfahrungen Benachteiligter als Multiplikatoreneffekt, mithilfe dessen Integration zeitnah geschehen kann.

Warum wurde der Ursprungsgedanke geändert? Es war die eigene Familiengeschichte, die Andrea dazu brachte. Ihre Erfahrung, einen geliebten Menschen leiden zu sehen und sogar durch Suizid zu verlieren. Sie wollte weg vom institutionalisierten bevormundenden Helfen. Es braucht einen Ansatz, der dem entgegensteht. Daher bietet die Akademie nun allen Menschen oder Gruppen, die in irgendeiner Form Ausgrenzung oder Diskriminierung erfahren, eine Plattform, auf der sie Respekt und Wertschätzung erleben.

Durch ihre außergewöhnlichen KursleiterInnen erweitert die Akademie für Vielfalt übliche Angebote durch Inhalte, die an sich nur von beschränktem Interesse für die Gesellschaft sind, weil sie Augenmerk auf vermeintliche Defizite oder Defekte legen und der Mehrwert des Wissens darüber sich erst bei näherem Hinsehen zeigt. Ein Plädoyer dafür, unsere Normalität zu hinterfragen und Vielfalt anzunehmen. Wie sieht das genau aus?

Erfahrungsschatz heben

Psychiatrieerfahrene beispielsweise erleben Unverständnis, Diskriminierung und Ausgrenzung. Um dem entgegenzutreten, hat Kai-Uwe, EX-In Genesungsbegleiter mit eigener Klinikerfahrung, die Filmreihe „Einfach irre!“ ins Leben gerufen. Der Verein EXperienced Involvement Rhein-Neckar e.V. bildet Psychiatrieerfahrene aus, die als MittlerInnen zwischen ÄrztInnen und PatientInnen ihre Erfahrung weitergeben. „Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen“ strebt der Verein an, ebenso wie die Akademie für Vielfalt. Betroffene wünschen sich, „jemanden zu haben, der sie, ihr Leiden und ihre Probleme versteht“, so Kai-Uwe. Jemanden, der ihnen „auf Augenhöhe begegnet und sie authentisch unterstützt“.

Für den Experten Kai-Uwe war bereits der erste Filmabend am 09. Dezember 2016 ein Erfolg. „Alle Parteien empfanden den Abend als gewinnbringend“ erzählt er, „weil Menschen miteinander in Kontakt kommen, die sich sonst nie begegnen würden“.

Mit so viel Offenheit über sich selbst macht man sich angreifbar. Diskriminierung und Ausgrenzung sind Lebensrealitäten, die jede und jeden treffen können.

Mutmacher für Inklusion

Kai-Uwe konnte sich nicht vorstellen, die Veranstaltung alleine durchzuführen. Mit Zweifeln, der Organisation und Umsetzung im ersten Anlauf überfordert, sucht er einen Schutzraum und findet ihn in Person eines Mutmachers, der ihn bei der Aufgabe unterstützt. Dann teilt er mit den Gästen, „was Ärzte von außen studiert haben“ und er „von innen.“

Umfassende Inklusion durch Adressierung von Menschen aller Vielfaltskategorien. Unendliche Begegnungsmöglichkeiten, die Schubladendenken konsequent aufzulösen versuchen. Damit bröckelt ein Vorurteilskorsett, das – so ungesund es auch sein mag – der Gesellschaft einen gewissen Halt gibt.

Wenn Menschen aller Vielfaltsdimensionen willkommen sind, wie geht die Akademie dann mit unbequemen Ansichten um? Zur gleichen Zeit, als in der Öffentlichkeit wieder einmal eine Kopftuchdebatte angestrengt wird, möchte eine Çarşaf (eine türkische Variante eines Tschadors bzw. eines Nikabs) tragende Frau im Rahmen der Akademie für Vielfalt über sich und ihr Leben referieren. Sie bietet eine Veranstaltung mit dem Titel „Sein oder sein dürfen“ an. Bei der Bewerbung über diverse Kanäle schlägt den OrganisatorInnen die Befürchtung entgegen, die Inhalte könnten „religiös-fundamental“ oder sogar „politisch gefährlich“ sein.

„Gerade diesen Dialog müssen wir führen. Solange sich jede und jeder respektvoll verhält, ist sie oder er willkommen“ sagt Andrea. Dies macht unsere demokratisch freiheitliche Grundordnung aus: Sich miteinander auseinandersetzen. In Diskussion gehen. Bestenfalls gewinnen alle an Klarheit, Verständnis, ja vielleicht sogar an echtem Interesse.

Barrierefreie Akademie

Die Menschen, die ihre Expertise im Rahmen der Akademie für Vielfalt anbieten, sind aufgrund von Interesse oder Lebenserfahrung SpezialistInnen für das Thema, für das sie brennen. „Ein Vielfaltsexperte ist ein Mensch wie du und ich und kein Prof. Dr. Dr.“ erklärt Andrea. Der Akademiegedanke dient der Aufwertung der eigenen Erfahrung als Wissen, das es Wert ist, studiert und geteilt zu werden. Innovative Wissensvermittlung wirkt nachhaltig in die Gesellschaft zurück durch wertschätzenden Umgang, der das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl von Teilhabenden stärkt.

Theoretische Inhalte auf der Akademiewebseite, wie beispielsweise der Wortlaut des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) oder die Verlinkung zur Charta der Vielfalt, könnten noch zusätzlich dazu beitragen, dass sich RechtspopulistInnen Themenfelder wie dieses nicht unbehelligt aneignen und umdefinieren.

Von Wertschätzung zu Empowerment

Gelebte Vielfalt bedeutet gegenseitige Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt. Dazu braucht es Vertrauen. Und Vertrauen geht nicht ohne Mut. Das mag erst einmal befremden. Denn Mut und Vertrauen verlangen Nähe.

Nähe ist besonders in individualistischen Gesellschaften ein fragiles, sehr persönliches Gut. Respekt auch Menschen gegenüber, denen wir aufgrund ihrer politischen Gesinnung einen wertschätzenden Umgang abzusprechen geneigt sind. Sie können uns hinsichtlich ihrer Sozialkompetenz eines Besseren belehren. Lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein, können wir von positiven gesellschaftlichen Auswirkungen überrascht werden. Wie sehr die Akademie für Vielfalt gelingt, liegt auch an uns.

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