Diversitätsmanagement oder Imagepflege?

25.04.2018

Hauswand mit Graffiti "Diversität"
Wer divers sein möchte, muss Privilegien abgeben. | Foto: gympumpkin (CC BY-NC-ND 2.0)

Kulturinstitutionen wollen diverser werden, übersehen aber oft, wie selbstgeschaffene Machtverhältnisse eine Öffnung zu mehr Diversität verhindern. Leila Haghighat und Nina Simon plädieren deshalb dafür, postkolonialen Perspektiven in der Diskussion um Diversität im Kulturbereich eine größere Rolle einzuräumen.

Von: Leila Haghighat, Nina Simon

Diversität hat sich zu einem zentralen Konzept in der Theorie und in der Praxis von Institutionen entwickelt. Die Popularität des Begriffs Diversität, mit dem im Allgemeinen die Unterscheidung und Anerkennung von individuellen Merkmalen verschiedener Menschen gemeint ist, wächst geradezu inflationär, sagt die Pädagogin und Diversitätstrainerin Gabriele Rosenstreich. Außerdem wird er meist in einem normativen Sinne genutzt. Die Theoretikerin Sara Ahmed betrachtet diesen Diversitäts-Wertschätzungsdiskurs „als Teil des Mainstreams, der zwischen Effektivitäts- (Diversity als Teil des Geschäfts) und moralisch-ethischem Diskurs (Diversity als Möglichkeit sozialer Gerechtigkeit) schwankt“ .

„Diversity sells“

Die Gründe für Unternehmen, Organisationen und Institutionen, sich mit Diversität zu befassen, sind dabei vielfältig. Sie reichen von der Ansprache neuer Zielgruppen über Legitimationsstrategien und dem Ausschöpfen neuer Finanzierungsmöglichkeiten bis hin zum Befolgen von Gesetzen, die Diskriminierung unter Strafe stellen. Insbesondere die Kulturelle Bildung wird gerne als Instrument eingesetzt, um dem Diversitätsanspruch von Institutionen zu entsprechen. So proklamiert etwa der Sammelband Diversität in der Kulturellen Bildung: „Diversität gilt als Grundprinzip und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen als große Stärke der Kulturellen Bildung“.

„Diversity sells“ ist dabei als Grund für eine Entwicklung zu betrachten, die Diversitäts-Management – und damit Vielfalt als Ressource – inzwischen zum guten Ton einer jeden Kulturinstitution gehören lässt. Dahinter verbirgt sich in vielen Fällen bloß Imagepolitik. Wie Sara Ahmed aufzeigt, scheint sich der Begriff Diversität für einen Wandel des Erscheinungsbilds einer Institution zu eignen, ohne die Organisationskultur infrage zu stellen. Ahmed meint, „dass der Reiz von Diversität darin liegt, gut auszusehen und sich gut zu fühlen“.

Diese Politik des „Sich-Gut-Fühlens“ erlaubt es Menschen, „sich zu entspannen und sich weniger bedroht zu fühlen, so als ob wir es schon ‚gelöst hätten’ und es nichts mehr zu tun gäbe“. So werde Diversitäts-Politik zu dem, was als Image-Management bezeichnet werden kann: Es gehe (nur) darum, das „richtige“ Bild zu erschaffen und das falsche zu korrigieren. Auch Rosenstreich betont, dass in den meisten Fällen keine strukturverändernden Maßnahmen, sondern Einzelmaßnahmen – instrumentalisiert zur Imagepflege – durchgeführt werden.

Diversitätsbewusstsein als Image-Pflege

Diese Entwicklung sehen wir in mehrfacher Hinsicht als hochproblematisch an: Die gegenwärtig von vielen Institutionen und ihren AkteurInnen (auch in der Kulturellen Bildung) mit dem Aushängeschild des vermeintlichen Diversitätsbewusstseins betriebene Imagepolitik bewirkt genau das Gegenteil – nämlich eine bloße Verharmlosung von gewaltvollen Diskriminierungen, die zu einer (Re)Produktion von Ungleichheitsverhältnissen führt.

Innerhalb des Mainstream-Diskurses um Diversität wird das jeweils „Andere“ (in Abgrenzung zum jeweiligen „Wir“) als etwas Gegebenes betrachtet. Aus postkolonialer Perspektive allerdings ist die Unterscheidungspraxis zwischen einem „Wir“ und einem „die Anderen“/ „Nicht-Wir“ und die dadurch hervorgebrachte Differenz keine selbstverständlich existente, sondern eine konstruierte, die mit gesellschaftlicher Macht verwoben ist. Nur der mächtigen sozialen Gruppe gelingt es, ihre Konstruktion(en) der (jeweils) „Anderen“ durchzusetzen.

Daraus folgt, dass Differenzmarkierungen kritisch betrachtet werden müssen, da sie Realität nicht bloß beschreiben, sondern konstruieren. Durch soziale Prozesse werden diese konstruierten Differenzen in Ungleichheiten umgewandelt, die zu Benachteiligung, Ausschluss und Diskriminierung führen. Durch sie werden die asymmetrischen Machtverhältnisse nicht nur hervorgebracht, sondern auch legitimiert und abgesichert.

Dies gilt auch für Maßnahmen wie Diversitätstrainings, die mit einem Dilemma konfrontiert sind: Einerseits ist der Bezug auf real gesellschaftlich wirksame Differenzen notwendig, um Diskriminierung nicht zu nivellieren oder gar zu verharmlosen. Andererseits kommt es durch eine solche Bezugnahme stets auch zu einer Wiederholung dieser Differenzen. Um der Gefahr entgegenzuwirken, damit zu einer Reproduktion sozialer Exklusion beizutragen, müssen Machtverhältnisse beständig mitgedacht werden.

Zur Ambivalenz des Diversitätsdiskurses

Die institutionelle Auseinandersetzung mit Diversität ist ambivalent. Dies ist darin begründet, dass Institutionen nicht nur in Machtverhältnisse eingeschrieben sind, sondern selbst die Bestandteile des Unterdrückungssystems darstellen. Die Instrumentalisierung des Diversitätsdiskurses festigt demnach aus den eingangs angeführten Gründen dominante Positionen. Das lässt sich auch damit begründen, dass der Begriff Diversität sehr diffus und häufig nicht ausreichend theoretisch fundiert ist. Je häufiger Diversität von einflussreichen AkteurInnen benutzt wird, desto stärker wird der Diversitätsdiskurs von ihnen und ihren Lesarten bestimmt. Zudem bringt der Fokus auf den Begriff Diversität die Problematik mit sich, dass andere eher kritische Begriffe wie Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus und Multikulturalismus aus der Diskussion verschwinden.

Um sowohl der Instrumentalisierung als auch der Aneignung des Diskurses entgegenzuwirken und ein Bewusstsein für die Verstrickung von Differenzen in Machtverhältnisse zu entwickeln, ist eine Auseinandersetzung mit postkolonialen Theorien unabdingbar.

Postkoloniale Theorien ermöglichen es, historisch gewachsene Ungleichverhältnisse in den Blick zu nehmen und ihre Effekte in der Gegenwart zu erkennen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Perspektive würde es erlauben, Differenzen anzuerkennen und sie gleichzeitig zu dekonstruieren. Sie sollte deshalb einen integralen Bestandteil jeglichen Nachdenkens in und über „Diversitätszusammenhänge(n)“ darstellen. Dieses Nachdenken darf in Anlehnung an Sara Ahmed jedoch nicht zu einer nicht-performativen Strategie verkümmern . „Nicht-performativ“ meint in diesem Zusammenhang, dass es bei einem „Sich-Gut-Fühlen“ bleibt und keine Konsequenzen daraus gezogen werden.

Institutioneller Strukturwandel

María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan folgend, ist es nicht möglich, über Dekolonisierung der Bildung – und damit auch der Kulturellen Bildung – nachzudenken, ohne die Strukturen, in denen sie eingelassen ist, zu verstehen. Dafür wäre ein erster und notwendiger Schritt, dass Institutionen und ihre AkteurInnen ihre dominante Position hinterfragen. Gabriele Rosenstreich verlangt daher zu Recht nach einer kritischen Reflexion von Machtverhältnissen innerhalb des Diversitäts-Diskurses. Daran muss sich ein Hinterfragen derselbigen anschließen. Daraus folgt der nächste notwendige Schritt: die Transformation von Strukturen.

Diversität sollte nicht nur proklamiert und „gelehrt“ werden, sondern sich strukturell niederschlagen. Institutionen können bei der Ermöglichung struktureller Veränderungen aufgrund ihrer Funktion in der Gesellschaft eine maßgebliche Rolle spielen. Voraussetzung dafür wäre allerdings die Bereitschaft des Verlusts von Privilegien derjenigen, die sich – bedingt durch die derzeitigen Strukturen – in den mächtigen Positionen befinden.

Literaturhinweise:

Ahmed, Sara (2004). The Non-Performativity of Anti-Racism.Text and Terrain: Legal Studies in Gender and Sexuality, University of Kent.

Ahmed, Sara: »You end up doing the document rather than doing the doing«: Diversity, Race Equality und Dokumentationspolitiken. In M. do M. Castro Varela & N. Dhawan (Hrsg.), Soziale (Un)Gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung (118–137). Berlin: LIT Verlag, 2011.

Ahmed, Sara: On Being Included. Racism and Diversity in Institutional Life. Durham and London: Duke University Press, 2012.

Castro Varela, María do Mar, & Dhawan, Nikita (2009). Breaking the Rules. In Kunstvermittlung II Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts (339–353). Zürich-Berlin: diaphanes.

Keuchel, Susanne, & Kelb, Viola. (Hrsg.): Diversität in der Kulturellen Bildung. Bielefeld: transcript, 2015.

Müller, Stefan, & Mende, Janne: Weder getrennt noch eins. Identität, Differenz und die Frage der Freiheit. In S. Müller & J. Mende (Hrsg.), Differenz und Identität. Konstellationen der Kritik (7–28). Weinheim und Basel: Beltz Juventa, 2016.

Rosenstreich, Gabriele: The Mathematics of Diversity Training: Multiplying Identities, Adding Categories and Intersecting Discrimination. In A. Broden& P. Mecheril (Hrsg.), Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft (131–159). Düsseldorf: IDA-NRW, 2007.

Rosenstreich, Gabriele: Antidiskriminierung und/als/trotz... Diversity Training. In M. do M. Castro Varela & N.Dhawan (Hrsg.), Soziale (Un)Gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung (230–244). Berlin: LIT Verlag, 2011.

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