Das wache Museum

09.05.2018

Zwei Personen betrachten Plfanzen in einem Garten
Gemeinschaftliches Gartenprojekt des Middlesbrough Institute of Modern Art | Foto: MIMA, Jason Hynes

Museen werden häufig dafür kritisiert, in alten Denkweisen und Strukturen zu verharren. Dabei gibt es viele innovative Ansätze zur Neuorientierung, wie beispielsweise die „Eigenlogikforschung“. Sie untersucht die Rolle und Funktion von Museen im Kontext der lokalen Stadtgesellschaft, um so institutionelle Veränderungsprozesse anzustoßen. Ein Essay von Daniel Neugebauer und Jasmin Vogel.

Von: Daniel Neugebauer, Jasmin Vogel

Die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um müde Demokratien und noch müdere Institutionen verleiht dem Bedarf nach aufgeweckten und aktiven Kultureinrichtungen Dringlichkeit. Insbesondere Museen stehen häufig in der Kritik, ein langweiliger Ort zu sein und in alten Denkweisen und Strukturen zu verharren. Allerdings ist diese Diskussion nicht neu: Bereits 1920 definierte der Museologe John Cotton Dana das Museum und seine Sammlung als einen lebendigen Organismus, der seine eigene Existenzberechtigung aus dem Dienst an der Gemeinschaft in einer sich stetig ändernden Gesellschaft zieht und dieser mit ebensolchem Willen zur stetigen (Mit-) Veränderung begegnen muss.

Das Museum sollte somit eine flexible und lebendige Einrichtung sein. In den letzten 30 Jahren sind viele Ansätze zur Neuorientierung und Veränderung von Museen erarbeitet worden. Begrifflichkeiten wie u.a. Audience Development, Inklusion, kulturelle Bildung, Partizipation oder Besucherorientierung sind jedem Museumsmitarbeiter präsent und werden in vielen Institutionen erfolgreich in Vermittlungskonzepte übertragen. Solche Veränderungsprozesse sollten allerdings über den Vermittlungsbereich hinausgehen und in einen ganzheitlichen, systematischen Change Management-Prozess übersetzt werden, der, angestoßen von der Leitungsebene, alle Bereiche umfasst und von diesen unterstützt wird. Damit dieser Prozess von der gesamten Institution und ihrem Umfeld getragen wird, ist es notwendig zu verstehen wie die eigenen, spezifischen Mechanismen funktionieren und wie – unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenlogik – der Prozess transparent und „maßgeschneidert“ gestaltet werden kann.

Von anderen Disziplinen lernen – Eigenlogikforschung

Zur Gestaltung von „maßgeschneiderten“ Veränderungsprozessen im musealen Kontext hilft es, über den Tellerrand hinauszuschauen und von anderen Disziplinen wie der Stadtforschung zu lernen. Ein Verständnis von der Rolle und Funktion von Museen in der lokalen Stadtgesellschaft ist dabei essentiell, um einen solchen Prozess unter Berücksichtigung des lokalen Kontextes implementieren zu können. Die Eigenlogikforschung bietet dabei einen interessanten Ansatz. Sie geht davon aus, dass sich in jeder Stadt spezifische und unterscheidbare Konstellationen, zusammenhängende Wissensbestände und Ausdrucksformen herausbilden, die Menschen in ihren Praktiken auf unterschiedliche Weise prägen. Jedem Ort wird hierbei eine eigene Logik zugewiesen und legt spezifische Handlungen nahe.Dieser Ansatz begreift Städte in erster Linie als „Sinn- und Raumzusammenhänge“, die nicht in »Verwaltungsgrenzen« gefasst werden können.

Der Begriff der Eigenlogik geht zwangsläufig einher mit dem Ansatz, für jede Stadt eine maßgeschneiderte Lösung zu entwickeln. Um über ein Bauchgefühl nach dem Motto „Jede Stadt tickt anders“ hinauszukommen, hat die Eigenlogikforschung fünf Strukturdimensionen entwickelt, die ein methodisches Verfahren ermöglichen. Als erste Strukturdimension wird der Raum definiert, während sich die zweite Dimension mit Zeitstrukturen auseinandersetzt. Die dritte Dimension der Sozialstrukturen analysiert Praktiken und Verteilungen, die das soziale Gefüge betreffen. Die politischen Strukturen stellen die vierte Dimension dar. Die letzte und fünfte Dimension analysiert Gefühlsstrukturen bzw. die emotionale Kultur einer Stadt und die Gefühle, die mit der Stadt verbunden werden. Übertragen auf den Museumsbereich können diese Strukturdimensionen der Eigenlogikforschung dabei helfen, die eigene Rolle und Funktion in der lokalen Stadtgesellschaft zu verstehen und in einen Kontext zu setzen.

Das Middlesbrough Institute of Modern Art ist ein gutes Beispiel dafür, wie dies erfolgreich umgesetzt werden kann. Das MiMA versteht sich selbst als ein „nützliches Museum“ (useful museum), dessen Vision darin besteht, Kunst wieder mit ihrer sozialen Funktion in Verbindung zu bringen und als eine transformative Kraft zum Nutzen der lokalen Gesellschaft zu agieren. In einem mehrjährigen Prozess werden hier die lokalen Gegebenheiten als zentraler Ankerpunkt der eigenen Analyse und der daraus folgenden Strategie gesetzt. Damit ist das MIMA bereits Vorbild und Impulsgeber für die Institutionen der Museumskonföderation L’Internationale geworden. Über die Künstlerin Tania Bruguera zog das Gedankengut um Arte Útil nun auch ins MOMA ein. Es ist ein deutlicher Trend auszumachen, in dem die frühere Peripherie die alten Zentren wachrüttelt.

Partizipation als mögliche Basis für Veränderungsprozesse

In den letzten Jahren hat der Begriff der Partizipation einen immer stärkeren Einfluss auf das Selbstverständnis von Museen im deutschsprachigen Raum ausgeübt und wird mit entsprechenden Konzepten unterfüttert. Partizipation ernstzunehmen heißt aber, das Sichtfeld zu erweitern und diese nicht als reinen Selbstzweck zu betrachten, sondern als eine Form der Teilnahme und Teilhabe, die die Bedingungen des Teilnehmens, die Spielregeln, selbst in den Blick nimmt und so einen Transformationsprozess erst ermöglicht. Das würde bedeuten, dass Museen ihre Macht ( Deutungshoheit, Themensetzung, ästhetische und historische Bildung ...) ab- und weitergeben.

Ansonsten bleibt Partizipation lediglich eine Form der Interaktion ohne wirksamen Einfluss und ohne eigene Verantwortung. Es geht darum, eine enge Beziehung zur umgebenden lokalen Gesellschaft aufzubauen. Dauerhafte Beziehungen setzen wiederum eine enge Verbundenheit des Museums mit der mittragenden Gesellschaft voraus. Partizipation als reine Projektarbeit funktioniert demnach nicht, sondern sollte vielmehr als „integriertes und internalisiertes Paradigma“ Teil des eigenen Selbstverständnisses als sein. Es bedarf dazu maßgeschneiderter Lösungen.

Das bedeutet, es sollte ein Verständnis für die potenziellen Strukturen von Partizipation vorhanden sein, um die richtige Methode definieren zu können, die am besten zum öffentlichen Auftrag und den eigenen Zielen passt. Die Wahl des geeigneten Mittels hängt demnach von den vorherrschenden lokalen Strukturen ab und wie der interne Veränderungsprozess gestaltet wird. Die jeweilige lokale Kultur der Institution bestimmt, welcher Grad an Partizipation realistisch und dem Maßstab angemessen umgesetzt werden kann. Eine ausgeprägte Antizipationsfähigkeit gepaart mit einem Gefühl für das richtige Timing sind dabei Kernelemente, die es gilt im Blick zu haben, um notwendige Veränderungen nicht zu verschlafen.

Der gelebte Perspektivwechsel – jetzt nötig!

Die oben dargestellte Perspektive ist nicht neu und bereits seit den 1920er und insbesondere seit den 1960er Jahren Teil des musealen Diskurses. Diese stetige Wiederkehr der Forderung nach einer Veränderungsbereitschaft von Museen zeigt deutlich die große Diskrepanz zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung. Dies liegt zu einem Teil in der Organisationsform begründet: Museen sind Institutionen, ähnlich wie Opernhäuser, deren Strukturen großenteils über Jahrzehnte gewachsen sind. Sie stehen dabei aufgrund ihrer langen Tradition zwar für Stabilität, tendieren aber deshalb auch zur Trägheit; etablierte Arbeitsprozesse und Zuständigkeiten lassen sich dort nur schwer verändern.

Des Weiteren spiegelt die Museumslandschaft derzeit noch den gesellschaftlichen Diskurs zur Unterrepräsentanz von Frauen oder MigrantInnen in Führungspositionen wieder. Eine größere Vielfalt auf allen Ebenen wäre einer zeitgemäßen, öffnenden Angebotsgestaltung zuträglich. So ist Francis Morris die erste Frau an der Spitze der Tate Modern, obwohl gerade hier in letzter Zeit ein Wandel sichtbar wird. Das bedeutet, dass aufgrund der homogen gestalteten Mitarbeiterstruktur viele gesellschaftlich relevante Perspektiven nicht per se im Museum repräsentiert, diskutiert oder gar dargestellt werden können. Diversitätsmanagement und damit einhergehend eine veränderte Personalstruktur ist daher der Schlüssel.

Als öffentliche Institutionen sind Museen natürlich verpflichtet, sich an Quotenregelungen und das Gleichstellungsgesetz zu halten und tun dies auch, aber es bedarf eines zusätzlichen Umdenkens, wie das Museum als Arbeitgeber eine Vielfalt an Kompetenzen und Perspektiven an die jeweilige Institution binden und die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen kann. Dies bedeutet für die meisten Museen ganz konkret sowohl eine strategische Neuausrichtung als auch die Entwicklung einer ständigen Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Implementierung einer auf stetigen Wandel ausgerichteten Struktur: Flache Hierarchien, prozessorientiertes Denken und Handeln, Mut zum Experimentieren und möglichen Scheitern sowie die Etablierung einer transparenten und offenen Kommunikationskultur sind dabei wichtige Faktoren.

Modelle des Change Management und ihre Instrumentarien können helfen, diese Strukturen aufzubauen, sofern der lokale Kontext berücksichtigt wird und aus den zur Verfügung stehenden Modellen eigene, individuell zugespitzte Strategien erarbeitet werden, die nicht bloß auf Wirtschaftlichkeit, sondern auf Werten basiert sind. Unterstützend wirken dabei die Modelle und Prinzipien der Partizipation, da sich diese flexibel auf die Bedürfnisse einzelner Stakeholder und den Ressourcen des Museums ausrichten lassen. Entscheidend ist dabei die Wahl der passenden Matrix, und diese kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenlogik der Institution erfolgen.

Dem richtigen Timing kommt darüber hinaus eine zentrale Bedeutung zu. Es geht darum, mit wachem Blick aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen und Themen aufzugreifen und in die Praxis zu übersetzen. Hier wird auch die transformative Kraft von Museen deutlich. Museen können für gewisse aktuelle gesellschaftliche Herausforderung Lösungsvorschläge entwickeln, denn Museen sind Orte, an denen eine andere Welt gedacht und erlebt werden kann. Wenn es Museen gelingt, soziale Verantwortung zu übernehmen, kann politisches Vertrauen geschaffen werden, das anderen Institutionen längst verloren gegangen ist. In der Kombination mit der Kraft, kollektive Denk- und Erfahrungsräume zu schaffen, kann die neue Museologie also auch ein Weckruf sein.

Der Text erschien zuerst in: Kulturpolitische Mitteilungen (KuMi), Heft 160 I/2018: Digitalisierung und Kulturpolitik

Literaturhinweise:

Löw, Martina (2011): Lokale Ökonomie – Lebensqualität als Standortfaktor. In: Löw, Martina/Terizakis, Georgios (Hrsg.): Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung. Frankfurt a.M., S. 29-35.

Meijer-van Mensch, Léontine (2012): Von Zielgruppen zu Communities. Ein Plädoyer für das Museum als Agora einer vielschichtigen Constituent Commumity. In: Gesser, Susanne/Handschin, Martin/Janelli, Angela/Lichtensteiger, Sybille (Hrsg.):Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Bielefeld, S. 86–94.

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