Was bedeutet Frieden?
08.05.2018
Beim „Peace Slam“ fragen internationale WissenschaftlerInnen nach der Bedeutung von Frieden – und geben ganz persönliche Antworten.
Von: Edgar Lopez
Villen aus der Gründerzeit prägen den Dresdner Stadtteil Kaditz. Genau dort befindet sich das „Theaterhaus Rudi“ – eine Spielstätte für Amateurtheater. In einem ausgebauten Keller des Theaterhauses fand Ende Februar der „International Peace Slam“ statt. Durchgeführt wird die Veranstaltung von der Gruppe „Mic4Peace“, die damit das Thema „Frieden“ aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten will. Gegründet wurde Mic4Peace von internationalen WissenschaftlerInnen, die in Dresden promovieren.
International und aufgeschlossen
Treibende Kraft hinter der Gruppe ist Claudia Reichert, die hauptberuflich das Welcome Center an der Technischen Universität Dresden leitet. Ursprünglich sei die Veranstaltung aus ihrem Engagement bei „Memorare Pacem“ entstanden, einem Verein für Friedenskultur. Als sie 2016 für den Internationalen Tag des Friedens auf der Suche nach einem Veranstaltungsformat war, kam ihr die Idee: „Ich habe in den letzten Jahren viele intensive Gespräche mit internationalen Gastwissenschaftlern und Gastwissenschaftlerinnen in Dresden geführt.“ Dabei habe sie immer wieder Fragen gestellt: „Wie fühlt ihr euch?“, „Ändert sich das Klima in der Bevölkerung?“‚ „Was erlebt Ihr?“, „Braucht ihr Hilfe?".
Die Gespräche waren so interessant, dass sie sich entschied, sie auf die Bühne zu bringen. Weil einige der AkademikerInnen bereits als sogenannte Science-SlammerInnen auf der Bühne standen, beschloss Reichert, mit Interessierten den „Peace Slam“ zu organisieren. Grundsätzlich werden bei einem Science- oder auch Poetry-Slam Texte oder Vorträge innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorgestellt. So funktioniert auch der „Peace Slam“ – ein Erfolgskonzept.
„Es hat uns wirklich viel Spaß gemacht. Allerdings dachten wir, dass es ein einmaliges Projekt sein würde“, sagt Reichert. Ihre Gruppe bekam weitere Anfragen und wurde später sogar für Auftritte gebucht – vor allem auf Bühnen mit einem internationalen Publikum. Mittlerweile umfasst Mic4Peace vierzehn Personen. Sie kommen aus China, Iran, Kolumbien, Indien, Ägypten oder Serbien.
Einige haben ihre Promotion bereits abgeschlossen und sind in andere Städte gezogen. Für die Peace Slams kommen sie trotzdem ab und zu vorbei. Das Gros der Organisation übernimmt allerdings Claudia Reichert, weil sie die SlammerInnen zusätzlich zu ihren Forschungen nicht noch mehr belasten will. Sie erledigt alles, was anfällt, schreibt PR-Texte, moderiert, fotografiert, lässt Visitenkarten drucken oder sitzt selbst der Kasse.
Publikumslieblinge
Im Theaterkeller des Rudi soll es an diesem Abend um 20 Uhr losgehen. Ein paar Minuten vor Beginn sind die fünf SlammerInnen vor Ort, einige haben Bekannte und FreundInnen mitgebracht. Ein paar weitere Gäste haben an den Tischen Platz genommen. Reichert ist mit den letzten Handgriffen beschäftigt. Ihre Mutter hilft an der Kasse aus. Währenddessen trudeln immer mehr Gäste ein, ungefähr 40 Personen haben nun Platz gefunden. Mit der kleinen Bühne, der tiefen Decke und den noch tiefer hängenden Bühnenscheinwerfern, wirkt der Raum gut gefüllt.
Farahnaz Sadidi eröffnet den Slam an diesem Abend mit ihrer Präsentation. Die Iranerin kam im August 2015 mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach Deutschland und promoviert an der TU Dresden im interdisziplinären Feld von Teilchenphysik und Bildung. Es ist kein Wunder, dass die 37-Jährige ihre Präsentation auf ihrer Fachdisziplin aufbaut: „Weil ich meine Forschung in der Lehre der Teilchenphysik betreibe, versuche ich alles aus der Sicht dieser Disziplin zu betrachten und es dann auf die menschliche Welt anzuwenden.“
Friedfertige Teilchen
Sie wolle etwas über Teilchenphysik erklären, um so einen Bezug zum Thema Frieden aufzubauen: „Ich kann Frieden in den Teilchen sehen.“ Es folgt eine Einführung in die Welt der Protonen, Elektronen, Neutronen, Quarks und Bosonen. Die Moral? Keines gleiche dem anderen, aber sie alle existierten in stabiler und friedlicher Koexistenz.
„Der Peace Slam bietet eine gute Gelegenheit, um mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen“, gibt sie später im persönlichen Gespräch zu Protokoll. Laut eigener Aussage haben weder sie, noch ihre Familie in Dresden jemals schlechte Erfahrungen gemacht. Darauf angesprochen, dass sie als iranische Frau kein Kopftuch trage, antwortet sie: „Ich trage bewusst kein Kopftuch.“ Sie sei nicht religiös. Wenn sie – anders als im Iran – die Möglichkeit dazu habe, lege sie das Kopftuch ab.
Perspektiven wechseln
Eine andere Geschichte erzählt Iman Mohammed, die letzte Slammerin des Abends. Ihr Vortrag gleicht ihrer Lebensgeschichte. Vor vierzig Jahren wurde sie in Bagdad geboren. Nach ihrem Masterabschluss in Chemieingenieurswesen kam sie nach Dresden, um zu promovieren. Das war 2009. Ihren Doktorinnentitel hat sie an der TU Dresden mit der Bestnote magna cum laude abgeschlossen.
Seit ihrer Geburt hat sie im Irak praktisch nur den Kriegs- oder Ausnahmezustand erlebt. Begonnen beim Iran-Irak-Krieg in den Achtzigern, über den ersten Golfkrieg 1991 bis hin zum zweiten Golfkrieg 2003. Als junges Mädchen habe sie sich entschieden, Kopftuch zu tragen: „Seitdem glaube ich daran.“ Genauso glaube sie an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: „Mit 15 Jahren bin ich erstmals darauf aufmerksam geworden und habe mich entschieden sie zu meinem Lebensstil zu machen.“ Sie wolle frei sein, um Entscheidungen selber treffen zu können. Im autokratischen Irak sei das damals nicht ohne weiteres möglich gewesen.
Weil sie ein Kopftuch trägt, wurde sie mehrfach Ziel von Ressentiments – vor allem in Dresden und dem Umland: „In den letzten drei Jahren wurde ich vielfach angegriffen.“ Sie sei bespuckt, geschubst und sogar mit Steine beworfen, erzählt Iman. Viele FreundInnen baten sie, ihr Kopftuch abzulegen, für ein „besseres“ Leben und Berufschancen: „Ich glaube aber an das Kopftuch, genauso wie ich daran glaube, dass ich tragen kann, was ich will, solange es niemanden verletzt.“ Ein Recht auf friedliche Religionsausübung, das auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist, wünscht sie sich. „Ich hoffe, dass Angriffe und Diskriminierung nicht weitergehen“, sagt sie am Ende des Gesprächs.
Auch Claudia Reichert hat Wünsche für die Zukunft: „Unser Ziel ist es, in Schulen zu gehen. Eine haben wir bereits besucht, um dort mit Schülern zusammen zu arbeiten.“ Wenn die SchülerInnen durch die Veranstaltungen Menschen kennenlernen würden, die ihnen sogar auf Deutsch aus dem Irak erzählten, dann könne dies helfen, Perspektiven zu wechseln. „Auftritte wie die im Rudi machen Spaß, aber wir wollen auch ernste Felder angehen.“ Dazu gehöre für sie etwa politische Bildungsarbeit an Schulen, vor allem für Menschen, die nicht so offen seien. Zunächst ist sie aber vor allem froh darüber, dass die vielen Gäste die Finanzierung neuer Werbepostkarten für den „PeaceSlam“ gesichert haben.