Der befreite Blick

16.05.2018

Jugendliche machen Musik
Soziales Engagement und hoher Partizipationsgrad - die "Sieben Künste von Pritzwalk" | Foto: Die 7 Künste von Pritzwalk

Ist partizipative Kunst ebenfalls „Kunst“? Und wo bleibt die Ästhetik? Die Kunstwissenschaftlerin Alia Rayyan plädiert dafür, den Disput zwischen konservativen KunstkritikerInnen und VerfechterInnen partizipativer Kunstformen zu überwinden und sich stattdessen an interdisziplinären Perspektiven zu orientieren.

Von: Alia Rayyan

Ob in vernachlässigten Kleinstädten, Ballungsräumen oder dörflichen Landstrichen – partizipative Kunstpraxis hat sich als neue Form gesellschaftlich kreativen Engagements durchgesetzt. Dieser Trend ist nicht nur in Deutschland, sondern auch international zu beobachten. Begründungen dafür kann man in sozial- und kulturwissenschaftlichen Abhandlungen finden, die den Trend allgemein als Versuch werten, neue Lösungsansätze für die größer werdende Kluft zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Armut und Reichtum in einer neoliberalen Welt zu finden.

Diese als social turn bezeichnete Rückbesinnung auf das Aktivieren lokaler gesellschaftlicher Bezüge und das direkte Miteinander wurden nicht nur im künstlerischen Bereich, sondern auch in parallelen Feldern wie der Pädagogik oder der Entwicklungsarbeit aufgenommen. Der interdisziplinäre „Run“ auf partizipative Interventionen führt aber auch zu scheinbar fließenden Übergängen zwischen partizipativen Kunstprojekten und sozialer Arbeit, die eine klare Aufteilung in bisher bekannte Aufgabenfelder oder Disziplinen schwerer macht. Dies ist nicht weiter beunruhigend.

KünstlerInnen mit gesellschaftlicher Verantwortung

Auf den zweiten Blick jedoch sind an diese Überschneidungen verschiedene Probleme gekoppelt, die zu einer allgemeinen Infragestellung der künstlerischen Qualität bis zum Missbrauch künstlerischer Praxis zwecks Gentrifizierung führen kann. Das große Interesse der öffentlichen GeldgeberInnen und sozialen Bildungsprogramme bietet für KünstlerInnen zwar eine Finanzierungsmöglichkeit, bürdet ihnen aber auch eine Verantwortung für das gesellschaftliche Miteinander auf, die sie nicht halten können oder sollten. Auch mit dem Versuch, Kunstprojekte in die Evaluierungsmodelle für Nichtregierungsorganisationen und Vereine einzubinden, um ergebnisorientiertes Arbeiten abzusichern, ist der partizipativen Kunstpraxis nicht geholfen.

Der Disput zwischen konservativen KunstkritikerInnen und VerfechterInnen partizipativer Kunstformen ist ein weiterer Schauplatz der Auseinandersetzung. Das konservative Lager hält partizipative Kunst per Definition für keinen Gegenstand der Kunstkritik, da sie zeitlich und räumlich klar definierten Bezügen widerspricht und damit bisher bekannte Parameter auf den Kopf stellt. Für sie liegt die Kraft der Kunst gerade in der Singularität und Autonomie des künstlerisch gestalteten Ereignisses. Partizipation wird nur als erweiterte Rezeption akzeptiert. Jegliches Überschreiten dieser Grenzziehung wird mit Aberkennung des künstlerischen Schaffens bestraft.

Moral vs. Ästhetik

Das konnten bislang auch die beiden Koryphäen der partizipativen Kunstszene Claire Bishop und Grant Kester nicht verhindern. Beide beschäftigen sich mit der Suche nach einer Qualitätsfindung und umfassenden Beschreibung dieser Kunstform. Claire Bishop sieht den sogenannten ethical turn als Übeltäter für die verzerrte Darstellung partizipativer Kunst, die dazu geführt hat, dass sie allein auf moralischer Ebene beschrieben und bewertet wird. Dadurch spielt man traditionellen KunstkritikerInnen in die Hände, da die Autonomie der Ästhetik vernachlässigt wird. Bishop plädiert daher für eine Wiederentdeckung ästhetischer Werte, die jedoch neu zu beschreiben wären.

Kester sieht dies als Rückzug in eine Avantgardehaltung, die das „alte ästhetische Verständnis“ von künstlerischen Werken auf die Wahrung der Autonomie von KünstlerInnen und der individuell sinnlichen Erfahrung reduziert. Diesem Verständnis nach ist der Künstler der Massengesellschaft überlegen und im Sinne Adornos als Wahrer der revolutionären Idee anzusehen. Kester sieht aber genau diese Autonomie und die monadische Voraussetzung als Schlüsselproblem für den Umgang mit partizipativer Kunst.

Zwischen zwei Polen

Partizipative Kunstformen bewegen sich zwischen zwei Polen, die sie jeweils zur Parteinahme mit allen dazugehörigen Konsequenzen auffordern. Statt der Auseinandersetzung um Parteinahme wäre es wichtiger, die Energie für die Suche nach neuen Instrumentarien zu nutzen, um Wissenstransfer und Erfahrungswerte unter KünstlerInnen und Projekten, aber auch GeldgeberInnen und KunstkritikerInnen zu ermöglichen. Ergebnisorientiertes Denken und die Frage, ob partizipative Kunst „Kunst“ sei, nehmen im Diskurs immer noch zu viel Raum ein. In der Praxis aber hat sich diese neue Kunstform bereits durchgesetzt, nun liegt es an der Theorie, dem praktischen Vorschub Folge zu leisten und den Disput beiseite zu legen.

Bishops Kritik an der rein ethischen Bewertung, sowie Kesters grundsätzliche Kritik an der Bedeutungshoheit der Ästhetik sind beide wichtige Gedankenschritte, die jedoch mit Überlegungen aus der Praxis begleitet werden sollten, um die Diversität partizipativer Projekte zu erfassen. Dass die Diversität in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen ist, wird an zwei Beispielen urbaner Praxis deutlich.

Pritzwalk: Soziales Engagement und hoher Partizipationsgrad

Da ist zum einen das Projekt „Sieben Künste von Pritzwalk“, das im Auftrag der „Neuen Auftraggeber“ initiiert wurde. Die Neuen Auftraggeber hatten sich zum Ziel gemacht, BürgerInnen vor allem in Regionen abseits der Kunstbetriebszentren zu ermächtigen, künstlerische Projekte im Stadtraum zu entwickeln. Ein Projekt, das soziales Engagement mit hohem Partizipationsgrad umsetzt und die Autonomie des Künstlers hintenanstellt.

Dem gegenüber steht das urbane Projekt von raumlaborberlin, einem Künstler/ArchitektInnenkollektiv, das gemeinsam mit Studierenden der Uni Witten und der Urban School Ruhr zwischen 2016 und 2017 in Workshops auf der Suche nach Formen der Abbildung urbaner Praxis in der kleinen Stadt Witten war. Daraus resultierten zwar diverse urbane partizipative Aktionen, mit jedoch geringerem Partizipationsgrad als im ersten Beispiel. Im Bishopschen Sinne lagen sie aber näher an einer ästhetischen Auseinandersetzung dran.

Doch was sagt uns das? Für eine umfassende Auswertung wäre es wichtig, unterschiedliche Ausgangspunkte, Herangehensweisen, künstlerische Mittel von konkreten Projekten und den Grad der Partizipation mit einzubeziehen sowie generell philosophische Überlegungen zur Ästhetik. Das empfundene Dilemma, dass die Parameter auf den Kopf gestellt sind, liefert vielleicht bereits die Lösung. Nur interdisziplinäre Überlegungen können hier zu neuen Herangehensweisen führen.

Weiterführende Literatur:

Rith-Magni, Isabelle; Hybride Kunststrategien und ihre Bewertbarkeit. Eine methodenkritische Reflexion zu partizipativer Kunst und den Möglichkeiten, Grenzen, Voraussetzungen und Konsequenzen ihrer Auswertung und Beurteilung, Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, Bonn 2017.

Glauner, Max; Get involved! Partizipation als künstlerische Strategie, veröffentlich am 2016/05/28, auf maxglauner.com

Bishop, Claire; ARTIFICIAL HELLS. Participatory Art and the Politics of Spectatorship, published by Verso, London/New York, 2012.

Kester, Grant; The Device Laid Bare: On Some Limitations in Current Art CriticismIn: e-flux journal #50, December 2013.

Kester, Grant; Conversation Pieces: The Role of Dialogue in Socially-Engaged Art, in: Theory in Contemporary Art Since 1985, Blackwell, 2005

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