„Erzählen heißt: Hoffnung haben“

26.02.2019

Zwei Personen unterhalten sich
Schrifstellerin Tanja Dückers und der jemenitische Lyriker Galal Alahmady | Foto: Stefanie Kulisch

Das preisgekrönte Projekt „Weiter Schreiben“ organisiert seit 2017 Partnerschaften für Autor*innen und Musiker*innen aus Kriegs- und Krisengebieten. Welche Bedeutung das Erzählen für Autor*innen im Exil hat und wie der deutsche Literaturbetrieb die neu Angekommenen besser unterstützen könnte, beschreibt Tanja Dückers, Schriftstellerin und Mitglied des Projekts.

Von: Tanja Dückers

Wenn man geflohene Schriftsteller und Schriftstellerinnen fragt, was sie sich für ihr Leben in Deutschland wünschen, lautet die Antwort in der einen oder anderer Form „Weiter schreiben können!“. Ein Dach über dem Kopf zu haben reicht nur für den Anfang; beruflich Fuß zu fassen in einem neuen Land ist von zentraler Bedeutung. Hinzu kommen die unglaublichen Erfahrungen von Krieg, Flucht, Heimatverlust und Neuanfang. Umso schmerzhafter ist es für Autor*innen, nicht erzählen zu können, im Exil keine Möglichkeit zu haben, mit ihren Werken an die Öffentlichkeit heranzutreten.

Deshalb organisiert das Projekt „Weiter Schreiben“ Partnerschaften, Tandems genannt, mit deutschen Schriftsteller*innen. Sie versuchen den neu angekommenen Kolleg*innen den Zugang über ihre Netzwerke in der Literaturszene zu ermöglichen und umgekehrt auch das Interesse der deutschsprachigen Leserschaft und Öffentlichkeit für die neuen Kolleg*innen zu wecken. Es werden gemeinsame Lesungen organisiert, Lesereisen, Interviews mit hiesigen Medien, Radio- und Fernsehauftritte. Informationen über Stipendienausschreibungen werden zusammengetragen und bei der nicht unerheblichen Bürokratie eines Antrags wird Unterstützung angeboten.

Ein wichtiges Ziel sind natürlich Veröffentlichungen. Gemeinsam mit professionellen Übersetzer*innen werden Texte ins Deutsche übertragen und auf der Website von „Weiter Schreiben“ veröffentlicht. Die hiesigen Autor*innen schreiben ihrerseits flankierende Texte über die gemeinsame Arbeit, den Austausch, das Miteinander mit den neu angekommenen Autor*innen, um den Leser*innen Einblicke in das Projekt und die sich hieraus ergebenden vertiefenden Kontakte und Freundschaften zu geben.

Sieben Worte für „Himmel“

„Erzählen heißt: Hoffnung haben“, sagte der vor fast 50 Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohene Autor Rafik Schami einmal. „Als ich von ‚Weiter Schreiben‘ hörte, war ich direkt angetan. Ich halte es für lebenswichtig, den Menschen, die zu uns kommen, Gelegenheit zum eigenen künstlerischen Ausdruck zu geben. Besonders wichtig sind Übersetzungen – damit Schriftsteller überhaupt zeigen können, was sie machen“, meint Monika Rinck, die in einem Tandem mit dem syrisch-palästinensischen Lyriker und Journalisten Ramy Al-Asheq arbeitet. Ramy, Jahrgang 1989, hatte schon drei Lyrikbände auf Arabisch veröffentlicht, bevor er nach politischer Verfolgung und einer Flucht aus dem Gefängnis nach Deutschland gelangte.

„Für einen Schriftsteller ist weiter schreiben zu können das Wichtigste“, meint Ramy. „Und ich weiß, wie man schreibt. Aber ich weiß nicht, wie ich mit dem Schreiben in Deutschland meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Viele Verleger sagten mir: ‚Wir haben kein Interesse, arabische Literatur zu übersetzen.‘ Andere meinten: ‚Wir verlegen keine Lyrik – würdest du Romane schreiben, könnten wir vielleicht darüber nachdenken.‘ Wenn man mit Gedichten ankommt, steht man fast überall vor verschlossenen Türen. Für einen Moment dachte ich sogar ans Aufgeben. Ich schreibe auch Prosa – ich hätte also für die deutschen Leser Romane schreiben können und Lyrik nur für das arabischsprachige Publikum. Die Begegnung mit Monika war ein Wendepunkt. Wir haben gleich begonnen, miteinander zu arbeiten – irgendwie hat sie meinen Stil sofort verstanden. Vier Stunden lang haben wir an Formulierungen gefeilt und am Ende ein ganzes langes Gedicht geschafft. Es war wunderbar für mich, dieses Werk auf Deutsch in den Händen zu halten! Besonders, da der Text von einer deutschen Lyrikerin kam, nicht von einem Übersetzer.“

Ähnlich äußert sich beispielsweise auch der jemenitische Lyriker Galal Alahmady (Jahrgang 1987), der vier Einzeltitel in seiner Muttersprache veröffentlicht hat und schon mit großen Literaturpreisen in der arabischsprachigen Welt ausgezeichnet wurde. Auch für die deutschsprachigen Autor*innen ist der Kontakt sehr bereichernd. So erfährt man über die intensive gemeinsame Textarbeit und das Miteinander bei Lesungen und auf Reisen sehr viel über die arabische Sprache und Kultur, bei allen individuellen Unterschieden. Wer hätte gedacht, dass es im Arabischen sieben verschiedene Worte für „Himmel“ gibt? Selbst ein Wort wie „hinauf“ kann ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem, ob es um ein physisches Hinauf geht, eine emotionale „Erhebung“ oder eine spirituelle Bewegung nach „oben“.

Der große Reichtum der arabischen Kultur, der durch repetitive Schreckensnachrichten aus den Medien in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund gedrängt wird, wird durch „Weiter Schreiben“ den hiesigen Schriftsteller*innen ein Stück nähergebracht. Insgesamt sind schon über 30 Autor*innen in Tandems organisiert. Die Gedichte und Geschichten auf „Weiter Schreiben“ werden stets zusammen mit Bildern von Bildenden Künstler*innen aus Krisengebieten veröffentlicht. Die Zeichnungen oder Gemälde werden eigens für diese Texte angefertigt.

Da die Zusammenarbeit so gut klappt und viel Spaß macht, wurde „Weiter Schreiben“ um eine neue künstlerische Disziplin bereichert: Musik. Einige geflohene Musiker*innen sind nun Teil von „Weiter Schreiben“ und treten bei Lesungen und anderen Veranstaltungen auf. Beispielsweise Wassim Mukdad, ein junger Musiker und Komponist aus Syrien, der ein hervorragender Oudspieler ist (die Oud ist eine arabische Laute) oder die syrische Percussionistin Berivan Ahmad. Die beiden Mitglieder der Band Matar (Matar heißt „Regen“ auf Arabisch), Ali Hassan und Nabil Arbaain, lernten sich im Auffanglager Frankfurt/Oder kennen. Später kam mit Simon Schmidt ein deutscher Musiker hinzu, der westliche Musikeinflüsse mitbrachte – ein interkulturelles Trio war entstanden und begeistert sein Publikum seitdem.

Schwierigkeiten trotz positiver Resonanz

Natürlich begegnet man, wenn man in solch einem Projekt arbeitet, auch Schwierigkeiten. Der Literaturbetrieb hat sich zunächst sehr offen und interessiert an den „neuen Stimmen“ gezeigt. Große Häuser wie das Literarisches Colloquium Berlin, das Haus für Poesie, das Haus der Kulturen der Welt oder das Literaturhaus Berlin haben uns ihre Pforten geöffnet. Viele Journalist*innen und Veranstalter*innen berichteten über das Projekt oder luden zu Lesungen ein. Die Resonanz ist von vielen Seiten positiv. Es lässt sich schnell „Oh wie toll!“ sagen oder einen Medienbeitrag bringen, der, weil es um Geflüchtete geht, gerade thematisch im Trend liegt. Wenn es aber konkret um Geld, vor allem um Veröffentlichungen und Buchprojekte geht, wird es deutlich zäher.

Die auf der Website von „Weiter Schreiben“ publizierten Texte sind zwar übersetzt, aber ihr Abdruck in einer Literaturzeitschrift wäre eine Zweitverwertung. Viele Zeitschriften und andere Portale möchten ihren Leser*innen nur Erstabdrucke anbieten. Sie sind nicht bereit, Geld in Übersetzer*innen zu investieren. Aber Texte von Nicht-Muttersprachler*innen benötigen eine Übersetzung, wenn man nicht auf schon übersetzte Texte zurückgreifen möchte. Hier wären mehr Offenheit und Ressourcen wünschenswert. Hinzu kommt, dass viele arabischsprachige Autor*innen Lyriker*innen sind. Lyrik verkauft sich in Deutschland schlecht, auch für hiesige Lyriker*innen ist es schwer, einen Verlag zu finden.

Hier schließt sich eine weitere Schwierigkeit an: Die Vorstellung mancher nach Deutschland eingewanderter Schriftsteller*innen über die Möglichkeiten des deutschsprachigen Literaturbetriebs sind nicht immer realistisch. Dem hochgelobten Land der Dichter und Denker scheint ein Ruf vorauszueilen, dem es in der Wirklichkeit nicht immer gerecht werden kann. Für viele hiesige Schriftsteller*innen ist es auch schwer, in einem renommierten Verlag unterzukommen. Preise und Stipendien erhält oft ein anderer als man selber. Der Buchbetrieb befindet sich derzeit im Umbruch, Verlage haben mit einem Minus zu kämpfen, insbesondere Hardcover-Bücher sind eine teure Angelegenheit.

Sehr erfreulich ist, dass der Ullstein Verlag im vergangenen Jahr eine Anthologie „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ mit Texten von „Weiter Schreiben“-Autor_*innen (Hg. Lina Muzur / Annika Reich) in einer schönen Hardcover-Ausgabe veröffentlicht hat. Das bedeutet viel für „Weiter Schreiben“ und seine Autor*innen, auch für die deutschsprachigen. Großartig ist auch, dass „Weiter Schreiben“ im letzten Jahr einen der vier „Power of the Arts“-Preise (verliehen von Philip Morris) erhalten hat, was uns in Zukunft zumindest für begrenzte Zeit die Herausgabe eines Printmagazins erlaubt.

Dennoch kam der Gedanke auf: Wenn je ein mittelgroßer bis großer Verlag es sich leisten würde, je einen der neu angekommenen Autor*innen unter Vertrag zu nehmen – was große Verlagshäuser eher querfinanzieren können als kleine – wäre das für die Autor*innen im Exil ein großer Schritt. Einen Verlag zu haben, würde ein Stück Heimat im neuen Land bedeuten und eine ganz andere emotionale und professionelle Verankerung für sie mit sich bringen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Das Projekt „Weiter Schreiben“

Als im Herbst 2015 viele Menschen aus Krieg und Not nach Deutschland flohen, fragten sich Schriftstellerinnen aus einem privaten Netzwerk von Frauen aus Politik, Kultur und Wissenschaft in Berlin rund um die Autorin Annika Reich, wie man die geflohenen Kolleginnen und Kolleginnen unterstützen kann. So entstand „Weiter Schreiben“, ein Projekt, das den geflohenen Autor*innen das „Weiter Schreiben“ ermöglicht. Die Schriftstellerin Tanja Dückers ist Mitglied des Projekts. Mehr Infos unter: https://weiterschreiben.jetzt

„Weiter Schreiben“ ist ein Projekt von WIR MACHEN DAS / wearedoingit e.V.

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