Vermitteln heißt Zuhören

22.03.2019

Besucherinnengruppe in einem Museum
Schulung von Kunstvermittler*innen am Kunstmuseum Basel 2016 | Foto: Antje Lielich-Wolf

Kulturvermittlung als Frontalveranstaltung ist längst nicht mehr zeitgemäß. Doch wie kann ein Dialog zwischen Ausstellungsbesucher*innen und Kulturvermittler*innen entstehen? Und was muss sich in den Kulturinstitutionen ändern, um diesen Dialog zu ermöglichen? Ein Interview mit Kunstvermittlerin und Kommunikationstrainerin Antje Lielich-Wolf.

Laut einer Umfrage des Deutschen Museumsbundes waren im Jahr 2007 rund 990 Kulturvermittler*innen hauptamtlich an Museen tätig. 2017 waren es bereits mehr als 1.400 Kulturvermittler*innen. Haben Museen die Relevanz der Vermittlungsarbeit erkannt?

Antje Lielich-Wolf: Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich in einer Rede im Jahr 2008 explizit für mehr Bildung aus – Bildungspolitik solle ab sofort Chefsache sein. Seitdem ist tatsächlich mehr Geld in die Kulturförderung geflossen, Stellen in der Bildung und Vermittlung von Kultur wurden geschaffen. Leider hat das nicht dazu geführt, dass die Relevanz und Anerkennung der Vermittlungsarbeit innerhalb der Institutionen gestiegen sind. Ich kenne Fälle, da gaben Vermittler*innen aufgrund mangelnder Anerkennung ihre festen Stellen an Museen auf. Oftmals fristen die Bildungs- und Vermittlungsabteilungen ein Schattendasein, sowohl in Bezug auf die finanzielle Ausstattung, als auch auf die kollegiale, institutionelle und politische Anerkennung. Vielerorts müssen die Vermittler*innen im Museum um ihre Daseinsberechtigung gegenüber Kurator*innen, Marketing und Geschäftsleitung kämpfen.

Wo haben Museen und andere Kulturinstitutionen Nachholbedarf?

Die Kulturvermittlung muss sich komplett neu verorten. Traditionelle Kunstvermittlungsformate wie Führungen, Expert*innengespräche, reproduktive, informative, affirmative Formate mögen für ein traditionelles Publikum mit tradierten Vermittlungskonzepten ihre Berechtigung haben. Sie funktionieren allerdings nicht für ein jüngeres Publikum, das mit einem anderen Selbstbewusstsein und Selbstverständnis aufwächst, eine eigene Meinung hat, sich einbringen und die Gesellschaft mitgestalten will. Außerdem fällt es sowohl Institutionen, als auch Vermittler*innen und dem „erwachsenen Publikum“ wie Lehrer*innen und Eltern schwer, aus tradierten Denkstrukturen auszubrechen. Ein Lösungsansatz besteht deshalb in Partizipation, Beteiligung und Dialog als Prinzip von Lernen, Verstehen und Begreifen. Allerdings bringen diese Kompetenzen weder Kunstvermittler*innen noch Besucher*innen aus der eigenen Lehr- und Lernerfahrung mit. Tradierte Formen der Kunstvermittlung und ihrer Formate werden so von beiden Seiten aufrechterhalten, sowohl von Besucher*innen als auch von Institutionen.

Welche neuen Perspektiven bietet eine dialogbasierte Kulturvermittlung?

Bei der dialogischen Kulturvermittlung geht es mehr um Fragen und weniger um Antworten. Sie stellt die Betrachter*innen mit ihrer Wahrnehmung, ihrem Wissen und Unwissen, den Vermutungen und Schlussfolgerungen in den Mittelpunkt. Hierfür müssen wir als Kulturvermittler*innen weniger dozieren und mehr zuhören und interessiert sein, am Denken und Fühlen der Besucher*innen. Im besten Fall entstehen so Interesse, Neugier und Fragen, die wiederum eigenes Lernen anstoßen und in einem autonomen und selbstbestimmten Prozess münden. Passives Konsumieren von überfordernden kulturhistorischen Inhalten wirkt abschreckend. Wenn eine Autorität das natürliche Bedürfnis der Besucher*innen nach Autonomie und Selbstbestimmung einschränkt, endet das mitunter in Frustration. In der dialogischen Kulturvermittlung hingegen erfahren Menschen, dass sie sich selbst die Welt erschließen können.

Welche Institutionen kennen Sie, die sich für dialogbasierte Formen der Kunstvermittlung entschieden haben?

Dialogische Haltung als Prinzip kann ich derzeit in keiner Institution in Deutschland erkennen. Es gibt höchstens vage Versuche, sich dialogbasierten Formen gegenüber zu öffnen. Oftmals ist dies von einzelnen Vermittler*innen abhängig, die erkannt haben, dass sie mehr gewinnen und zurückbekommen, wenn sie Denkprozesse anstoßen, anstatt permanent bestehendes Wissen darzubieten. Institutionelle Beispiele sind beispielsweise das Victoria and Albert Museum (Großbritannien), Museum Hack (USA) sowie das Kunstmuseum Lichtenstein, das Museum für Kommunikation Bern oder das Museum Aargau (Schweiz).

Was empfehlen Sie Museen, die sich für Formen dialogischer Kunstvermittlung öffnen wollen?

Zunächst sollte intern geklärt werden, ob alle Abteilungen im Haus diese Haltung mittragen. Die Implementierung einer dialogischen Haltung geschieht nicht von heute auf morgen. Ein intensiver Lern- und Beratungsprozess ist notwendig, der idealerweise von der Museumsleitung initiiert und auch begleitet wird. Alle Mitarbeiter*innen und Abteilungen sollten integriert werden, wobei sich vor allem die Abteilung „Bildung und Vermittlung“ im Klaren sein muss, was dialogische Vermittlung für die eigene Arbeit bedeutet: Kann ich mich von meinem Hoheitswissen, meinem Machtstatus gegenüber Besucher*innengruppen verabschieden? Bin ich tatsächlich an den Meinungen, den Gedanken und Ansichten meiner Besucher*innen interessiert? Habe ich Lust und Interesse von Kindern und anderen Besucher*innen zu lernen? Dabei kann eine Institution auch Mischformen anbieten, also sowohl traditionelle als auch dialogische Vermittlungsformen entwickeln. Beide sollten dann aber gleichrangig bewertet und der Dialog mit Besucher*innen als ein ernstzunehmendes Vermittlungsformat im Haus kommuniziert werden.

Fragen: Ralf Rebmann (Redaktion)

Weitere Informationen: www.kunstunddialog.de

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